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Die »Grand Dame« des autonomen Denkens [1]

Zum 90. Geburtstag von Esther Vilar

2025/09/16

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Die Streitschriftstellerin Esther Vilar feiert heute ihren 90. Geburtstag (Foto: Evelin Frerk)

»Ich will in keinem Haufen raufen, lass mich mit keinem Verein ein«: Was Reinhard Mey in seinem Lied »Bevor ich mit den Wölfen heule« besang, hat die deutsch-argentinische Schriftstellerin Esther Vilar stets beherzigt – dennoch trat sie 2008 in den Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung ein. Heute feiert sie ihren 90. Geburtstag. Eine Laudatio von Michael Schmidt-Salomon.

Esther Vilar ist »Autorin« im wahrsten Sinne des Wortes, eine autonome Selberdenkerin, die sich von nichts und niemandem vereinnahmen lässt, die stets ihren eigenen Weg gegangen ist und dabei Tabu um Tabu zertrümmerte, um uns zum Nachdenken anzuregen. Schon ihr erstes Buch »Der dressierte Mann« entwickelte sich Anfang der 1970er Jahre zu einem Weltbestseller, über den heiß und heftig diskutiert wurde. Frauenrechtlerinnen warfen ihr damals vor, der Emanzipationsbewegung in den Rücken zu fallen. Inzwischen wird jedoch zunehmend anerkannt, dass es Esther Vilar darum ging, die Frauen aus ihrer Opferrolle zu befreien und die Emanzipation beider Geschlechter voranzutreiben.

Die Geschlechterpolitik war indes keineswegs das einzige Gebiet, auf dem sich Esther mit Nachdruck eingemischt hat: So entwickelte sie in dem Buch »Die 25-Stunden-Woche« (mit einem Vorwort des damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine) ein neues Konzept für die »Arbeit und Freizeit in einem Europa der Zukunft«, mit »Der betörende Glanz der Dummheit« kritisierte sie den Zwang zum Opportunismus im politischen Betrieb, während sie mit »Die Schrecken des Paradieses« die Absurditäten der christlichen Jenseitsvorstellung offenlegte.

Vor allem als Roman- und Theaterautorin konnte die »Grand Dame des autonomen Denkens« Erfolge feiern (bei der Probe zu ihrem Stück »Speer« mit Klaus Maria Brandauer in der Titelrolle war sogar Queen Elisabeth II. zu Gast). Ihr Theaterstück »Mr. & Mrs. Nobel« wurde 2014 unter dem Titel »Eine Liebe für den Frieden – Bertha von Suttner und Alfred Nobel« aufwändig verfilmt. Selbstverständlich zählte Esther auch zu den Unterstützerinnen und Unterstützern des »Bertha von Suttner-Studienwerks« [3], das die Giordano-Bruno-Stiftung mit dem Humanistischen Verband Deutschlands, der Humanistischen Akademie Deutschland und der Bundesarbeitsgemeinschaft Humanistischer Studierender 2021 auf den Weg brachte.

Schon kurz nach ihrem Eintritt in den Beirat der gbs beteiligte sich Esther an der Tagung »Der neue Humanismus« (Nürnberg 2008) mit einer Lesung aus ihrem Buch »Die Schrecken des Paradieses« auf. 2011 war sie Mitglied des »Blasphemischen Quartetts«, das im Berliner Filmtheater »Babylon« die Deutschlandpremiere der satirischen Doku »Religulous«  von »Borat« -Regisseur Larry Charles präsentierte [4]. Ihre freigeistige Haltung hat Esther seither bei vielen Beiratstreffen der gbs zum Ausdruck gebracht – ganz im Sinne des Nachworts, das sie 1996 zu ihrem Theaterstück »Die Antrittsrede der amerikanischen Päpstin« formulierte: »Die Angst vor der Freiheit – die Sehnsucht, alle persönliche Verantwortung in die Hände eines anderen zu legen, sich aus freien Stücken dessen Befehlen zu beugen – war von jeher das Thema meiner schriftstellerischen Arbeit und wird wohl bis zuletzt irgendwie bestimmend für sie bleiben.«

In der gbs hat Esther nicht nur Gleichgesinnte gefunden, sondern auch ihr »spätes Lebensglück« mit dem renommierten Entwicklungspsychologen Rolf Oerter. Nach einer slapstickhaften Kofferverwechslung bei einem gbs-Beiratstreffen (Rolf fand zur Belustigung der noch anwesenden gbs-Mitglieder Damenwäsche in seinem vermeintlichen Koffer) wurden die beiden ein Paar und lebten mehrere Jahre abwechselnd in London und München. Nach Rolfs plötzlichem Tod im Mai 2024 [5]zog Esther nach Salzburg, wo sie heute ihren 90. Geburtstag feiert. Das gesamte gbs-Team gratuliert ihr herzlich zu diesem Ehrentag, bedankt sich für Ihre langjährige Unterstützung und wünscht ihr (und uns allen), dass sie weiterhin so eigensinnig bleibt, wie sie es immer schon war!


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