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Die Mehrheit der Deutschen ist nicht mehr religiös [1]

Eine aktuelle fowid-Studie verdeutlicht, wie weit die Säkularisierung vorangeschritten ist

2025/11/06

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fowid-Leiter Carsten Frerk beim Eröffnungsvortrag der Tagung »Auf dem Weg in die säkulare Gesellschaft« (Foto: R. Hinz)

84 Prozent der Deutschen vertreten die Auffassung, Politikerinnen und Politiker sollten »weltanschaulich neutral entscheiden«, 76 Prozent stimmen der Überzeugung zu, dass sich ethisch-moralische Entscheidungen »auf Vernunft und Mitgefühl« stützen sollten, »nicht auf göttliche Gebote«. Dies geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die im Auftrag der »Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland« (fowid) die Einstellungen der Bevölkerung zum Themenkomplex »Staat – Gesellschaft – Weltanschauung« untersucht hat.

Das Meinungsforschungsinstitut »Mentefactum« hat im Auftrag von fowid in der ersten Oktoberhälfte eine repräsentative Bevölkerungsumfrage durchgeführt, die nun auf der Website der Forschungsgruppe ausgewertet wurde [3]. »Die Ergebnisse der Umfrage verdeutlichen«, so die fowid-Autoren, »wie weit der Prozess der Säkularisierung in Deutschland vorangeschritten ist.« Dies zeige sich sowohl mit Blick auf die weltanschaulichen Haltungen der Bürgerinnen und Bürger als auch hinsichtlich ihrer Einstellungen zur Neutralität des Staates und seinem Verhältnis zu den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.

So stimmten 76 Prozent »voll und ganz« (47 %) oder »eher« (29 %) der Überzeugung zu, dass sich ethisch-moralische Entscheidungen »auf Vernunft und Mitgefühl« stützen sollten, »nicht auf göttliche Gebote«. Nur 12 Prozent waren mit dieser Aussage »eher nicht« und 5 Prozent »überhaupt nicht« einverstanden, während 7 Prozent dazu keine Angaben machten. »Dass 76 Prozent der Befragten einer Auffassung zuneigen, die eher im säkularen Humanismus als bei den traditionellen Religionsgemeinschaften verortet werden kann«, sei ein »bemerkenswerter Befund«, kommentiert die Forschungsgruppe. Erwartungsgemäß finde man für diese Haltung die größte Zustimmung bei den Konfessionsfreien (85,7%), die Zustimmungsraten lägen aber auch bei den nominellen Katholiken (66,2%) und insbesondere bei den Protestanten (72,3%) erstaunlich hoch. Der allgemeine Säkularisierungstrend sei »offenkundig auch innerhalb der Kirchen angekommen«.

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Zustimmung bzw. Ablehnung einer »naturalistischen Weltauffassung«: Mit der Aussage »Ich meine, dass die Welt nach naturwissenschaftlichen Gesetzen funktioniert. Übernatürliche Kräfte wie etwa Götter oder Teufel haben auf unsere Welt keinen Einfluss« waren 39 Prozent der Befragten »voll und ganz« und 25 Prozent »eher« einverstanden. Nur 16 Prozent sprachen sich »eher« und 10 Prozent »voll und ganz« für eine Ablehnung des Naturalismus aus. Auch dieser Befund sei bemerkenswert, heißt es aus der Forschungsgruppe: »Dass nur 26 Prozent übernatürlichen Kräften eine Wirkung in der Welt zuschreiben, während 64 Prozent dem naturalistischen Weltbild zustimmen, deutet an, dass im Schatten der Säkularisierung auch die Grundprinzipien des wissenschaftlichen Denkens an Bedeutung hinzugewonnen haben.« Erwartungsgemäß sei auch hier die Zustimmungsrate in der Gruppe der Konfessionsfreien mit 77 Prozent am höchsten, gefolgt von den Protestanten mit 59 Prozent und den Katholiken mit 52 Prozent.
  

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Große Mehrheit für den weltanschaulich neutralen Staat

Die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger spricht sich für einen »weltanschaulich neutralen Staat« aus, in dem keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft privilegiert oder diskriminiert wird. So vertreten 84 Prozent der Befragten die Auffassung, Politikerinnen und Politiker sollten »ihre Entscheidungen nicht auf ihre persönlichen religiösen Überzeugungen stützen«, sondern sich »weltanschaulich neutral entscheiden«. 82 Prozent votieren dafür, dass »staatliche Einrichtungen wie Gerichte, Schulen oder Polizei grundsätzlich weltanschaulich und religiös neutral« sein sollten. 75 Prozent meinen, dass Religionsgemeinschaften bei der Besetzung von Rundfunkräten »keine bevorzugte Stellung erhalten« sollten. 65 Prozent sprechen sich gegen das islamische Kopftuch von Lehrerinnen in öffentlichen Schulen aus und 61 Prozent lehnen es ab, dass die katholische Kirche weiterhin medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche in ihren Kliniken verbieten darf.

Auffällig an den Ergebnissen der Studie sind neben der hohen Zustimmung zur weltanschaulichen Neutralität des Staates zwei weitere Aspekte: 1. Die Zustimmung zu strikt weltanschaulich-neutralen Positionen nimmt ab, wenn die persönliche Religions- und Weltanschauungsfreiheit von Amtsträgern betroffen ist. So sprechen sich nur 44 Prozent der Befragten dafür aus, dass Kanzler oder Minister keine religiöse Amtseidformel verwenden sollten (33 Prozent haben damit keinerlei Probleme, 23 Prozent wollen dazu keine Aussage treffen). 2. Die Zeichen christlicher und islamischer Religiosität werden im Durchschnitt unterschiedlich bewertet. So richten sich zwar 50 Prozent gegen das Aufhängen von religiösen Symbolen wie Kreuzen in Schulen und Gerichtssälen, im Falle des islamischen Kopftuches ist die Ablehnungsquote (65 Prozent) jedoch deutlich höher.

Interessante Ergebnisse vermittelt auch die fowid-Analyse zum Konsens bzw. zur Polarisierung innerhalb der getesteten Gruppen: Dabei zeigt sich zum Beispiel, dass die Konfessionsfreien trotz ihres fehlenden Organisationsgrades in ihren weltanschaulichen Einstellungen und weltanschauungspolitischen Haltungen deutlich homogener sind als die katholischen und protestantischen Kirchenmitglieder, die in vielen Fragen große Differenzen aufweisen. Mit Blick auf die jeweiligen Parteipräferenzen stellt fowid u.a. fest, dass die Anhänger der AfD zwar in der Ablehnung des islamischen Kopftuchs äußerst geschlossen auftreten, jedoch bei der Frage, ob der Amtseid ohne Gottesbezug stattfinden soll, ungewöhnlich stark polarisiert sind. Die Forschungsgruppe kommentiert diesen Befund folgendermaßen: »Die ›christlich-abendländische‹ Rhetorik der Partei findet in der Anhängerschaft keine konsequente Entsprechung – der Fokus liegt erkennbar auf der Ablehnung des Islam.«

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Bildergalerie »Fowid-Tagung«: Fotos 1-5: Ricarda Hinz, Fotos 6-10: Evelin Frerk   

20 Jahre fowid: Der Säkularisierung auf der Spur

Die »Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland« wurde 2005 von der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) gegründet. Ihr 20-jähriges Bestehen feierte die Forschungsgruppe Ende Oktober im Rahmen der Tagung »Auf dem Weg in die säkulare Gesellschaft« [15] im Berliner Zentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung, siehe den Veranstaltungsbericht von Gisa Bodenstein auf dem Portal des Humanistischen Pressedienstes (hpd) [16].

In seinem Eröffnungsvortrag zur Tagung schilderte fowid-Leiter Carsten Frerk nicht nur die Geschichte der Forschungsgruppe (vgl. hierzu den Artikel »Auf dem Weg in die säkulare Gesellschaft« im aktuellen »bruno.«-Jahresmagazin [17], S. 26ff.), sondern stellte auch die Ergebnisse einer zweiten repräsentativen Umfrage vor, die »Mentefactum« ebenfalls im Auftrag von fowid im Oktober 2025 durchgeführt hatte. In dieser Studie wurden katholische und evangelische Kirchenmitglieder danach befragt, ob sie heute, als Erwachsene, noch einmal in die Kirchen eintreten würden [18]. Das Ergebnis dürfte viele überrascht haben, denn 53 Prozent meinten, "wahrscheinlich nicht" (33 Prozent) oder "sicher nicht" (20 Prozent) wieder eintreten zu wollen.

Bemerkenswert ist dabei der Vergleich mit einer ähnlich strukturierten Studie, die fowid 20 Jahre zuvor durchgeführt hatte. Damals nämlich gab die starke Mehrheit von 62 Prozent an, auch als Erwachsene in die Kirche eintreten zu wollen, während nur 35 Prozent dies verneinten. Die Studienergebnisse von 2025 schafften es bereits kurz nach Frerks Berliner Vortrag am 25. Oktober in die deutschen Leitmedien (siehe u.a. »ZEIT [19]« und »ZDF-heute [20]«), auch kirchliche Portale griffen die Meldung auf (siehe u.a. »domradio [21]« und »katholisch.de [22]«).

  
Die (vermeintlichen) Sozialleistungen der Kirchen

In einer zweiten Frage derselben Studie gaben zwei Drittel der Kirchenmitglieder (66 Prozent) [23] an, "sicher" (33 Prozent) bzw. "wahrscheinlich" (ebenfalls 33 Prozent) aus der Kirche auszutreten, falls die Kirchen »nur wenig oder fast gar nichts von der Kirchensteuer für soziale Zwecke ausgeben«. Diese Haltung sei »mit Blick auf die realen Sozialinvestitionen der Kirchen erstaunlich«, meint der Vorsitzende der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon: »Offenbar haben die meisten Kirchenmitglieder gar nicht mitbekommen, dass die Kirchen tatsächlich ›nur wenig‹ (konfessionelle Kitas) oder ›fast gar nichts‹ (konfessionelle Krankenhäuser) für soziale Zwecke ausgeben.« Dieses Wissensdefizit hat seiner Meinung nach auch die Beantwortung der Fragen der aktuellen fowid-Studie beeinflusst: »Vermutlich würden deutlich mehr als 61 Prozent der Befragten gegen das rigorose Abtreibungsverbot in katholischen Krankenhäusern votieren, wenn sie wüssten, dass die Kirchen keinen einzigen Cent, abgesehen etwa von der Pflege der Krankenhauskapelle, in den Betrieb ›ihrer« Kliniken investieren. Diese werden ja zu 100 Prozent von der öffentlichen Hand und den Versichertenbeiträgen finanziert.«

Wie Schmidt-Salomon darlegt, »wissen nur sehr wenige Bürgerinnen und Bürger und auch nur sehr wenige Politikerinnen und Politiker, dass der Sozialstaat keineswegs ökonomisch zusammenbrechen würde, wenn sich die Kirchen aus diesem Gebiet zurückziehen würden«. Auf die grundlegenden Fehler der sogenannten »Caritas-Legende« hat fowid-Leiter Carsten Frerk bereits vor zwei Jahrzehnten in seinen Büchern »Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland [24]« und »Caritas und Diakonie in Deutschland [25]« hingewiesen. Allein die volle Absetzbarkeit der Kirchensteuer führt beim Staat zu Steuermindereinnahmen von 4,5 Milliarden Euro [26]pro Jahr – mehr als das Vierfache der Summe, die von den Kirchen für soziale Zwecke ausgegeben werden. 


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