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Der freundliche Transhumanist [1]

Zum Tod von Bernd Vowinkel

19.06.2025

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Er träumte von einer »Menschheit 2.0« und von »Maschinen mit Bewusstsein«: Am vergangenen Samstag ist der Physiker, Autor und gbs-Beirat Bernd Vowinkel im Alter von 78 Jahren gestorben. Ein Nachruf von Michael Schmidt-Salomon.

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Es war eine Freude, mit Bernd zu diskutieren – insbesondere, wenn die Meinungen weit auseinandergingen. Und das war regelmäßig der Fall, wenn wir über Künstliche Intelligenz sprachen. Denn Bernd glaubte an die Möglichkeit einer »starken« Künstlichen Intelligenz, an »Maschinen mit Bewusstsein«, denen er auch seine erste größere populärwissenschaftliche Veröffentlichung gewidmet hatte. Ich hingegen vertrat stets die Auffassung, dass Bewusstsein an lebende Organismen gekoppelt und nicht in die Silicium-Welt digitaler Rechensysteme übertragbar sei.

Ich weiß nicht, wie oft wir über dieses Thema diskutiert haben. Beim »Stuttgarter Zukunftssymposium 2018« trugen wir diesen Streit dann auch auf offener Bühne aus. Vorab hatten wir verabredet, in der Podiumsdiskussion möglichst schwere Geschütze aufzufahren. Und so bezeichnete Bernd mich zur Erheiterung des Publikums als »Kohlenstoff-Chauvinisten«, der jedes Leben auf Silicium-Basis dogmatisch ausschließe, während ich ihn als »unfreiwilligen Platoniker« beschrieb, der an ein »Reich der Ideen« glaube, das unabhängig von der Materie existiere (für Hardcore-Naturalisten wie Bernd gibt es kaum eine schlimmere Provokation, als in die Nähe des »Idealismus« gerückt zu werden). Ich kann mich kaum an eine andere hochabstrakte Debatte erinnern, bei der auf der Bühne und im Publikum so viel gelacht wurde.

Zur Position des Naturalismus, der Einschätzung, dass es im Universum »mit rechten Dingen« zugeht, da keine übernatürlichen Kräfte in die Naturgesetze eingreifen, war Bernd schon früh gelangt. Zwar hatte er während seiner Konfirmation noch »allen Ernstes« gedacht, »der Heilige Geist würde über mich kommen« (»Im Nachhinein finde ich erschreckend, welchen Blödsinn man sich einbilden kann«), doch schon wenig später wurde ihm durch die Lektüre allgemeinverständlicher Bücher über Physik und Astronomie klar, »dass der religiöse Glaube absolut naiv und reines Wunschdenken von naturwissenschaftlich Ungebildeten ist«, wie er es in seiner für ihn so typischen kompromisslosen Art (für Ingenieure wie ihn gibt es nur »richtig« und »falsch«, aber nichts dazwischen) im »Who-is-Hu«-Fragebogen ausführte. [3]

Nach dem Abitur absolvierte Bernd zunächst ein Studium der Nachrichtentechnik in Gießen und arbeitete zwei Jahre als Ingenieur in einer Satellitenbodenstation der ESA. Dann studierte er Physik und Astronomie an den Universitäten Gießen und Bonn. Von 1981 bis 2010 war er als Wissenschaftler am »1. Physikalischen Institut« der Universität Köln angestellt, wo er sich vor allem mit der Entwicklung von Mikrowellen-Empfangssystemen für die Radioastronomie, die Molekülspektroskopie, die Plasmaforschung und die Erderkundung beschäftigte.

Bernd hat rund 80 wissenschaftliche Fachartikel (vorwiegend auf dem Gebiet der  Mikrowellentechnik und Radioastronomie) verfasst und war u.a. an der Konstruktion von »Herschel« beteiligt, dem bis dahin größten Weltraumteleskop der Menschheit, das in dieser Spitzenposition erst 2022 vom »James Webb Space Telescope« abgelöst wurde. Über seine wissenschaftlichen Leistungen hat Bernd fast nie gesprochen – wenn überhaupt, dann nur, wenn man ihn gezielt danach fragte. Mit Beginn der 2000er Jahre war ein anderes Thema in den Fokus seiner Aufmerksamkeit gerückt, nämlich die Diskrepanz zwischen den wissenschaftlichen Methoden, die unserer Technologie zugrunde liegen, und den anti-wissenschaftlichen Weltbildern der Menschen, die diese Technologie nutzen.

2006 veröffentlichte Bernd seine lesenswerte Monografie »Maschinen mit Bewusstsein: Wohin führt die künstliche Intelligenz?«, in der er sich mit den Möglichkeiten und Chancen der KI in der nahen und fernen Zukunft auseinandersetzte. Schon im Vorwort verwies er dabei auf Poppers Forderung, dass jeder Intellektuelle »die Ergebnisse seines Studiums in der einfachsten und klarsten und bescheidensten Form« darstellen sollte – was Bernd auch in bemerkenswerter Weise gelang, selbst wenn manchmal eben doch der Ingenieur in ihm durchschien, der von seiner Leserschaft einiges an physikalischem Grundwissen abverlangte.

Zwei Jahre später war Bernd einer der Referenten auf dem Symposium »Der neue Humanismus: Wissenschaftliches Menschenbild und säkulare Ethik«, das die damalige »turmdersinne gGmbH« und die »Humanistische Akademie Bayern« in Kooperation mit der Giordano-Bruno-Stiftung in Nürnberg ausrichtete. (Die Beiträge der Tagung sind später in dem von Helmut Fink herausgegebenen, gleichnamigen Sammelband im Alibri Verlag [4] erschienen.) Bernds Vortrag mit dem Titel »Auf dem Weg zum Transhumanismus?« hat 2008 eine lang andauernde Debatte über das Verhältnis von »evolutionärem Humanismus« und »Transhumanismus« ausgelöst, zumal beide Begriffe von demselben Autor, Julian Huxley, geprägt wurden.

Dass Bernd dabei eindeutig auf der transhumanistischen Seite stand, war klar, schließlich gab er die deutschen Übersetzungen der Werke des amerikanischen Erfinders und Transhumanisten Ray Kurzweil heraus und war auch Mitbegründer der »Transhumanen Partei Deutschland«. Ich selbst sah einige Aspekte des Transhumanismus (etwa die m.E. geradezu religiöse Erwartung der »Singularität«, des »erwachenden Maschinenbewusstseins«) kritisch. Dennoch wurde ich in dem Buch »Robokratie, Google, das Silicon Valley und der Mensch als Auslaufmodell« neben Bernd als einer jener Transhumanisten im deutschsprachigen Raum identifiziert, die den Untergang der Menschheit herbeireden. Mich auf die entsprechende Textstelle hinzuweisen, machte Bernd damals diebische Freude. »Mitgefangen, mitgehangen!«, sagte er mit seinem ganz eigenen, trockenen Humor.

Selbstverständlich verspürte Bernd, der zwar ein Technik-Nerd war, aber eben auch ein echter Menschenfreund, keine Sehnsucht nach dem biologischen Ende unserer Spezies. Vielmehr betrachtete er den (noch fernen) Aufbau einer »posthumanen Zivilisation« angesichts der kosmischen Realitäten (so wird sich unsere Sonne in einigen Jahrmillionen zu einem Roten Riesen aufblähen und alles Wasser auf der Erde verdampfen) als empirische Notwendigkeit, wenn denn der Wissensschatz der Menschheit in irgendeiner Weise gerettet werden soll. Humanismus und Transhumanismus stellten in seinem Denken daher auch keine Gegensätze dar, sondern ergänzten sich. Wie das konkret aussehen kann, hat er in seinem »Opus magnum«, dem 2018 erschienenen Buch »Wissen statt Glauben! Das Weltbild des neuen Humanismus« [5], dargestellt.

Weil Bernd den Transhumanismus nicht gegen den Humanismus ausspielte, hatte er nicht nur die »ferne Zukunft« (»Longterminism«) im Blick. Er war stets zur Stelle, wenn es galt, nicht nur das rationale wissenschaftsorientierte Denken, sondern auch die Menschenrechte im »Hier und Heute« gegen reaktionäre Strömungen zu verteidigen. In dieser Hinsicht hat er sich an vielen Kampagnen der Stiftung in den letzten Jahren beteiligt. Er war nicht nur Stiftungsbeirat, sondern auch Stifterkreis-Mitglied sowie Mitbegründer der Kölner gbs-Regionalgruppe, der er gerade in den Anfangsjahren entscheidende Impulse gab.

2024 wurde bei Bernd ein besonders aggressiver Krebs festgestellt, was er jedoch nicht an die große Glocke hängte. Als ich ihm im April 2025 beim Stifterkreis-Treffen in Oberwesel das letzte Mal begegnete, wusste er längst, dass er nicht mehr lange leben und das Stiftungshaus nicht mehr wiedersehen würde. Doch er sprach nicht über seine schwere Erkrankung, sondern über die Themen, die ihn seit jeher beschäftigten, über Rationalität, Wissenschaft und Ethik. Mir war während des Gesprächs nicht bewusst, wie schlecht es ihm ging, da er sich nichts anmerken ließ. Und so lachten wir ein letztes Mal über meinen »offenbar unausrottbaren Kohlenstoff-Chauvinismus«.

Wie an vielen anderen gbs-Initiativen hatte sich Bernd 2014 auch an der Kampagne »Mein Ende gehört mir! Für das Recht auf Letzte Hilfe« [6]  beteiligt. Für ihn stand fest, dass jeder Mensch das Recht hat, den »Notausgang« zu wählen, wenn das Weiterleben unerträglich wird. Er selbst hatte keine Angst vor dem Tod, da er sich mit seiner Endlichkeit (im Unterschied zu anderen Transhumanisten) längst abgefunden hatte. Und so schied Bernd am 14. Juni mithilfe einer Sterbehilfeorganisation in genau jener Weise aus dem Leben, in der er es zuvor geführt hatte: rational, aufgeklärt und selbstbestimmt. Wir werden ihn vermissen.


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