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Die Kraft des Arguments [1]

Eine Nachlese der »Philo.live! 2025«

23.11.2025

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»Philo.live!«-Festival 2025 (Foto: Ricarda Hinz)

Mit rund 3500 Besucherinnen und Besuchern war die zweite Auflage des »Philo.live!«-Festivals (14. bis 16. November in Berlin) abermals ein Erfolg – nicht nur in quantitativer, sondern auch in qualitativer Hinsicht. Denn das philosophische Setting des Festivals sorgte dafür, dass die Diskutanten deutlich unvoreingenommener auf die Argumente ihrer Gesprächspartner eingehen konnten, als dies gemeinhin in öffentlichen Debatten geschieht.

In Talkshows kommt es häufig nicht zu einem rationalen Austausch von Argumenten, sondern bloß zu einem »Widerstreit der Ideen«, bei dem es nicht darum geht, starke Argumente des Gegenübers aufzugreifen, sondern sich im »Meinungskampf« gegenüber der Gegenseite zu behaupten. Differenzierte Positionen können aufgrund der begrenzten Redezeit oft nicht ausformuliert werden, was zu einer weiteren Polarisierung der Debatte führt und im »empörialistischen Überbietungswettbewerb« der digitalen Plattformen zusätzlich noch verschärft wird. Von dieser »gestörten Streitkultur« hob sich das »Philo.live!«-Festival [3] in wohltuender Weise ab. Hier zählte nicht die empörialistische Devise »Stimmung statt Argumente!«, sondern vielmehr die »Kraft des Arguments«.

 
Wie gute Debatten trotz kontroverser Positionen funktionieren

Ein gutes Beispiel dafür bot die Diskussion »Sterben für den Staat? Über Pazifismus und Kriegstüchtigkeit«. zwischen dem Militärhistoriker Sönke Neitzel und dem Philosophen Olaf L. Müller. Eigentlich hätte man erwarten können, dass es zwischen den beiden zu einem harten (und weitgehend unproduktiven) Schlagabtausch kommen würde. Immerhin setzt sich Neitzel für ein »kriegstüchtiges Europa« ein, während Müller einen »pragmatischen Pazifismus« vertritt. Tatsächlich wurden die unterschiedlichen Standpunkte auf dem Podium auch deutlich – und doch stimmten Neitzel und Müller im Laufe der Debatte in vielen Punkten überein. So plädierten beide dafür, dass im Falle der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht nicht nur das Recht auf »Kriegsdienstverweigerung« erhalten bleiben müsse, sondern die Zivildienstleistenden auch in den »pazifistischen Methoden der zivilen Verteidigung« geschult werden sollten.

Spannungsreich war auch die Ausgangsposition auf dem Podium »Identitätspolitik bis Klimapolitik: Wo geht‘s hier nach links?« zwischen dem Autor und Dramaturgen Bernd Stegemann, einem der schärfsten Kritiker der »linken Wokeness« und der »moralischen Selbstüberhöhung« der Grünen, und der ehemaligen Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang. Aber auch hier kam es nicht zu einem unproduktiven Widerstreit der Meinungen, da Ricarda Lang schnell einräumte, dass das links-identitäre Lagerdenken ein schwerwiegender politischer Fehler gewesen sei und sich die Grünen selbstverständlich nicht an Gruppenidentitäten, sondern an den universalistischen Werten der Menschenrechte und der Französischen Revolution orientieren müssten. Nach diesen klaren Aussagen ließ Bernd Stegemann durchblicken, dass er seine Kritik an den Grünen wohl etwas relativieren müsse.

Kontrovers besetzt war auch die Diskussion zum Thema »Was ist Populismus?« mit der Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach und Sahra Wagenknecht, die kurz vor der »Philo.live!«-Veranstaltung ihren Vorsitz beim BSW aufgegeben hatte. Hier wurde die Spannung zwischen den beiden Diskutantinnen zwar nicht aufgelöst, aber die Debatte zeigte doch, wie man über ein emotional hochaufgeladenes Thema wie »Populismus« in rationaler Weise diskutieren kann. Dabei zeigte Julia Reuschenbach die wissenschaftlichen Kriterien auf, die kennzeichnend für »Populismus« sind, und versuchte, die Argumente ihrer Gesprächspartnerin in ebendiese Kriterien einzuordnen, während Sahra Wagenknecht ausführte, weshalb ihre politische Haltung sich diesen Kriterien nicht zuordnen lässt. Dem Publikum wurde dabei klar, dass es nicht so einfach ist (und womöglich sogar verkehrt wäre), das BSW generell als »populistisch« zu etikettieren. Vielleicht wäre eine solche Einordnung in bestimmten Politikfeldern (etwa in der Haltung zum russischen Angriffskrieg) möglich gewesen, leider aber gab es bei dieser Veranstaltung keine Fragerunde aus dem Publikum.

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Fruchtbare Debatten auch ohne Kontroversen

Dass Debatten auch dann lehrreich und unterhaltsam sein können, wenn die Diskutanten sehr ähnliche Positionen vertreten, zeigten die Podien »Was will Russland?« mit Sabine Adler und Jörg Baberowski, die einen guten Einblick in Putins Regime gaben (auch wenn sie die Bedeutung der russisch-orthodoxen Kirche für die russische Staatsideologie weitgehend ausblendeten), sowie »Die Mitte des Lebens« mit Barbara Bleisch und Lucy Fricke, deren sehr persönliches Thema zunächst wie ein Fremdkörper im politischen Festivalprogramm wirkte, bei genauerer Betrachtung allerdings ließen sich ihre humorvoll-konstruktiven Ausführungen zur »Midlife-Crisis« durchaus auch auf in die Jahre gekommene Staatengebilde wie die EU übertragen.

Eine schöne Abwechslung zu den Gruppendiskussionen bildeten die Einzelgespräche mit dem Rechtsphilosophen Bernhard Schlink zur Frage »Was ist Gerechtigkeit?« und mit Michel Friedman zum Thema »Demokratie verteidigen – was heißt das?«. Beide nutzten die Einzelgespräche dazu, um ihre Denkhaltungen in differenzierter Weise darzulegen. Kritische Anmerkungen kamen bei beiden Veranstaltungen weniger von den Moderatoren als vonseiten des Publikums. So wurde Bernhard Schlink gefragt, warum er »Tierrechte« per se ausblende, während Michel Friedman mit der Frage konfrontiert wurde, wie er die Politik der aktuellen israelischen Staatsführung einschätze. Offenkundig traf dies einen wunden Punkt bei Friedman, der erklärte, er werde die Frage nicht beantworten, da er als Jude nicht automatisch verpflichtet sei, sich zur Regierung Netanjahu zu äußern.

 
Fokussierung auf Problemlösungen – statt auf die Probleme

Eine solche Zurückhaltung bzw. persönliche Betroffenheit war bei Daniel Cohn-Bendit, der ebenfalls einer jüdischen (wenn auch atheistisch-jüdischen) Familie entstammte, aber die israelische Regierung scharf kritisierte, nicht zu spüren. Sein abschließendes Gespräch mit Peter Sloterdijk zum Thema »Wohin steuert Europa?« zählte sicherlich zu den Highlights des diesjährigen »Philo.live!«-Festivals. Dabei war eine bemerkenswerte Dynamik zu beobachten: Nachdem Sloterdijk das Podium mit dem Statement eröffnet hatte, Europa sei ein »Katastrophenschattengewächs«, das nur auf dem Nährboden zweier verheerender Weltkriege gedeihen konnte, war man auf eine düstere, von Melancholie und Resignation getragene Debatte eingestimmt. Doch Cohn-Bendits engagierte Lobrede auf das »Wunder Europa«, das die alte »Erbfeindschaft« zwischen Deutschen und Franzosen überwunden und die universellen Menschenrechte ins Zentrum der Politik gerückt habe, gab der Diskussion eine völlig andere Ausrichtung. Spätestens als Cohn-Bendit unter dem wohlwollenden Gelächter des Publikums zum Besten gab, dass ihm zweifellos alle Anwesenden in seiner positiven Einschätzung der europäischen Entwicklung recht geben würden, wenn er »in 200 Jahren wieder auf dem Podium der Philo.live sitzt«, schwenkte auch Sloterdijk auf eine zukunftsfreundlichere Perspektive ein. Fortan war die Diskussion weniger von den aktuellen Problemlagen als von möglichen Problemlösungen bestimmt.

Einen ähnlichen Verlauf hatte zwei Tage zuvor bereits die Auftaktveranstaltung der » Philo.live« genommen. In der Diskussion zwischen der Autorin Juli Zeh und dem Soziologen Andreas Reckwitz ging es um das Thema »Vom Umgang mit Verlusten – und wie wir die Zukunft zurückgewinnen«. Auch hier stand das Gespräch zunächst unter einem eher negativen, problemorientierten Vorzeichen. Denn für Reckwitz besteht eines der Grundprobleme der Moderne darin, dass sie stets mit »Fortschrittsverlusten« verbunden ist. Dem setzte Juli Zeh entgegen, dass der gesellschaftliche Fortschritt auch mit Gewinnen einhergeht, was in Politik und Medien sehr viel stärker betont werden müsste, um »die Zukunft zurückzugewinnen«. Beide Podiumsteilnehmer stimmten letztlich darin überein, dass sich die Politik darum bemühen sollte, Problemlösungen für konkrete Probleme zu finden, um eine echte Krise der Demokratie zu verhindern, womit Zeh und Reckwitz in gewisser Weise vorwegnahmen, was Cohn-Bendit und Sloterdijk später in der Abschlussdiskussion am Beispiel der europäischen Entwicklung aufzeigten.

 
Abschluss des gbs-Schwerpunktthemas 2025

Das »Philo.live!«-Festival wurde organisiert vom »Philosophie Magazin« und der »Phil Cologne«  (Leitung: Rieke Brendel und Svenja Flaßpöhler), unterstützt vom dm-drogerie markt, der Udo Keller Stiftung, der Giordano-Bruno-Stiftung, der C.H. Beck Kulturstiftung sowie den Medienpartnern radioeins, radio3 und Tagesspiegel. Aus Sicht der gbs war die »Philo.live! 2025« nach dem Kortizes-Symposium »Identität im Wandel» (Nürnberg, 3.-5. Oktober) und der fowid-Tagung »Auf dem Weg in die säkulare Gesellschaft« (Berlin, 25. November) die dritte Großveranstaltung im Rahmen des diesjährigen Schwerpunktthemas »Mein Kopf gehört mir: Wie wir die offene Gesellschaft verteidigen können«.

Am kommenden Mittwoch (26.11.2025) wird eine letzte Veranstaltung zu diesem Schwerpunktthema in Düsseldorf stattfinden: gbs-Vorstand Michael Schmidt-Salomon wird dort zum Thema »Die autoritäre Bedrohung – Wie die Internationale der Nationalisten entstanden ist und was wir ihr entgegensetzen können« [9] vortragen. Die Veranstaltung des »Düsseldorfer Aufklärungsdienstes« (DA) in der »Jazz-Schmiede« beginnt um 19.00 Uhr und wird für diejenigen, die nicht vor Ort dabei sein können, live ins Netz übertragen.

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