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Fällt § 218 StGB doch noch?

Der Widerstand des Gynäkologen Prof. Joachim Volz bringt vieles in Bewegung

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In Lippstadt demonstrierten 2000 Menschen mit Prof. Dr. Joachim Volz gegen das katholische Abtreibungsverbot (Foto: Evelin Frerk)

Nach dem Ende der Ampelregierung und dem im Parlament knapp gescheiterten Versuch zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs herrschte große Ernüchterung in den Reihen der »Pro Choice«-Aktivist*innen. Dann aber tauchte der Fall »Joachim Volz« auf, der neuen Schwung in die bereits abgeschriebene Debatte brachte. Plötzlich erscheint wieder vieles möglich.

Der Leiter der Lippstädter Frauenklinik Prof. Dr. Joachim Volz kann und will es nicht hinnehmen, dass sein (neuerdings mit einem katholischen Träger fusionierter) Krankenhausbetreiber ihm verbietet, weiterhin medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche (bei schwerer Schädigung des Fötus oder Gefährdung der Gesundheit der Frau) durchzuführen. Vermittelt durch die Ärztin Kristina Hänel, die in ihrem Verfahren nach dem (inzwischen aufgehobenen) § 219a StGB von der gbs begleitet wurde, kam Joachim Volz in Kontakt mit der Giordano-Bruno-Stiftung und ihrer »juristischen Taskforce«, dem »Institut für Weltanschauungsrecht« (ifw). ifw-Beirat Till Müller-Heidelberg übernahm die anwaltliche Vertretung. Kurze Zeit später, am 2. Juni 2025, ging die gbs mit einer ersten Pressemitteilung zu dem Rechtsstreit in die Öffentlichkeit.

Der Fall sorgte für große Medienresonanz. Die Online-Petition gegen das katholische Abtreibungsverbot, die Joachim Volz Mitte Juli startete, wurde in den ersten zwei Wochen von mehr als 200.000 Personen unterzeichnet.  Die Demo zum Gerichtstermin am 8. August schaffte es sogar in die »Tagesschau« und ins »heute Journal«. Dass das Gericht in Lippstadt die Klage des Arztes abwies, steigerte die Empörung über die Anmaßungen der katholischen Kirche zusätzlich. So veröffentliche die (in der Regel überaus kirchenfreundliche) »ZEIT» einen Artikel mit dem Titel »Wenn Frauenrechte weniger zählen als religiöse Dogmen: Das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen in Lippstadt macht fassungslos«. Die mehr als 450 Kommentare zu dem Text verdeutlichen die Stimmung innerhalb der Bevölkerung, die offenbar gar nicht mehr nachvollziehen kann, weshalb der Kirche im 21. Jahrhundert noch immer so viel Macht zukommt.

Schon kurz nach der Urteilsverkündung zeigte sich, dass die Klageabweisung für die Kirche ein »Pyrrhussieg« war, der ihr auf längere Sicht mehr schaden als nutzen wird. Für Joachim Volz und seine Unterstützer*innen hingegen handelte es sich um eine »erfolgreiche Niederlage«, die den Druck auf die Politik weiter erhöhen wird (eine Parallele zu dem Verfahren von Kristina Hänel, die vor Gericht so lange verlor, bis § 219a StGB schließlich abgeschafft wurde).

Bildergalerie zur Demo (Fotos: Evelin Frerk)

    

Das Besondere am »Fall Volz« ist, dass er viele vermeintliche »Selbstverständlichkeiten« in Frage stellt. Arbeitsrechtlich wäre beispielsweise zu diskutieren, ob Glaubensdogmen die medizinische Praxis überhaupt bestimmen dürfen, und mit Blick auf den Wohlfahrtsstaat, ob es Katholiken erlaubt sein darf, Krankenhäuser mit öffentlichen Mitteln zu betreiben, wenn sie eine umfassende medizinische Versorgung gar nicht gewährleisten wollen. In Bezug auf § 218 StGB müsste geklärt werden, ob es tatsächlich einen signifikanten Unterschied zwischen dem angeblich »rechtswidrigen« beratenen und dem »rechtskonformen« medizinischen Schwangerschaftsabbruch gibt, wenn doch, wie Volz darlegt, in beiden Fällen dieselbe Grundregel gilt: »Der Arzt berät, die Frau entscheidet«. Schließlich wäre auch jene ominöse Vorstellung zu überprüfen, die in Deutschland zu massiven Restriktionen in der Reproduktionsmedizin führt (und auch die verunglückte Debatte zur BVerfG-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf bestimmte), nämlich, ob es wirklich sinnvoll ist, davon auszugehen, dass befruchtete Eizellen, Blastozysten, Embryonen und Föten »Personen mit Menschenwürde« sind.

Als Leiter einer »Kinderwunsch-Praxis« weiß Joachim Volz nur zu gut, dass diese »Leibesfrüchte« oft nicht zu Lebendgeburten führen (nach konservativen Schätzungen gehen rund 70 Prozent von ihnen auf natürliche Weise ab). Wären sie tatsächlich »Grundrechtsträger«, wie die katholische Kirche behauptet, müsste Deutschland pro Jahr den »Tod« von 1,6 Millionen (ungeborenen) Bürgerinnen und Bürgern betrauern, was etwa der Einwohnerzahl Münchens entspricht (siehe hierzu die gbs-Sharepic-Serie: »Willkommen im Uterus-Wunderland«).

Ob solche evidenzbasierten Argumente die aktuelle Bundesregierung zum Umdenken bewegen können, ist ungewiss. Fest steht jedoch, dass der »Fall Volz« schon jetzt vieles in Bewegung gesetzt hat. Die Debatte über § 218 StGB ist wieder eröffnet…