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Befreiende Knollennasen

Laudatio auf Ralf König zur Ausstellungseröffnung in Frankfurt

Am vergangenen Mittwoch (26. März) wurde die Ralf-König-Ausstellung "Paul versus Paulus" vor großem Publikum im "caricatura museum frankfurt" eröffnet (die Werke werden dort noch bis zum 3. August gezeigt). Nach der Begrüßung durch Museumsdirektor Achim Frenz hielt Michael Schmidt-Salomon eine Laudatio auf den Comic-Zeichner, in der er u.a. darlegte, dass König "wie kaum ein anderer zur Liberalisierung unserer Gesellschaft beigetragen" habe. Aufgrund der großen Nachfrage dokumentieren wir hier den Text der Laudatio.

 


Michael Schmidt-Salomon
Befreiende Knollennasen: Eine Laudatio auf Ralf König

 

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Achim Frenz, lieber Gerhard (Haderer), lieber Ralf!

Es ist mir eine besondere Ehre, diese Laudatio auf Ralf König halten zu dürfen, denn Ralf gehört zu den mutigsten, klügsten, humorvollsten Menschen, die ich in meinem Leben getroffen habe. Schon lange bevor ich ihn persönlich kennenlernen durfte, habe ich ihn außerordentlich geschätzt – nicht nur, weil er ein grandioser Geschichtenerzähler und Zeichner ist, sondern auch, weil er wie kaum ein anderer zur Liberalisierung unserer Gesellschaft beigetragen hat. Dass der unsägliche Anti-Schwulenparagraf 175 gestrichen wurde und wir mittlerweile auf dem besten Weg zu einer echten Gleichstellung homosexueller Partnerschaften sind, ist nicht zuletzt auch sein Verdienst.

Es gibt eine kleine Begebenheit, die viel über ihn verrät: Vor 35 Jahren, als noch niemand erahnen konnte, dass aus ihm irgendwann einmal ein berühmter Comiczeichner würde, absolvierte Ralf eine Tischlerlehre, zu der ihm sein Vater geraten hatte, damit der Sohn etwas „Anständiges“ lerne. Dass ihm dieser Beruf nicht lag, war schnell klar, doch ein anderes Problem setzte ihm noch sehr viel mehr zu. Denn Ralf merkte, dass er nicht auf Mädchen, sondern auf Kerle stand. Und schwul zu sein, das war 1979 etwas, das man tunlichst verbergen sollte – insbesondere, wenn man aus der westfälischen Provinz stammte.

Ralf jedoch trat die Flucht nach vorne an. Eines Morgens heftete er ein Stück Papier an eine der Maschinen der Werkstatt – und man kann sich gut vorstellen, wie die Gesichtszüge seiner Kollegen entglitten, als sie sahen, was darauf geschrieben stand:  „Schwul zu sein, bedarf es wenig; ich bin schwul und heiß Ralf König!“ Ein sensationelles Coming-out, das gut auch aus einem seiner späteren Comics hätte stammen können. Ralfs Kollegen waren wohl beeindruckt, jedenfalls verschonten sie ihn mit dummen Kommentaren.

In dieser Aktion von 1979 steckt schon viel von dem, was Ralf später berühmt machen sollte: Mut, Witz, Intelligenz, entwaffnende Ehrlichkeit und eine wunderbare Leichtigkeit, das Selbstverständliche auszusprechen, das so lange nicht als selbstverständlich galt, nämlich dass Schwule schwul und Heteros hetero sind und dass es keinen vernünftigen Grund dafür gibt, daraus irgendein Drama zu machen und die einen schlechter zu stellen als die anderen.

 

Bewegte Männer:
Von der Kießling-Affäre zu Wowereits Coming out

1984, als Ralf mit SchwulComix2 zu seinem eigenen, mittlerweile berühmten Knollennasen-Stil fand, offenbarte sich die sexualneurotische Verklemmtheit der Bundesdeutschen in besonderer Weise. Es war die Zeit der „Kießling-Affäre“, viele von Ihnen werden sich noch daran erinnern: Verteidigungsminister Manfred Wörner hatte den Viersterne-General Günter Kießling vorzeitig aus dem Dienst entlassen, weil dieser als angeblicher Homosexueller ein vermeintliches „Sicherheitsrisiko“ darstellte. Nachdem sich zeigte, dass Kießling wohl doch nicht schwul war, wurde er wieder eingestellt und mit Ablauf seiner Dienstzeit ehrenvoll mit großem Zapfenstreich verabschiedet. Damals sahen die meisten Kommentatoren den Skandal darin, dass Wörner dem verdienstvollen General unterstellt hatte, schwul zu sein, aus heutiger Sicht liegt der Skandal viel eher darin, dass die Frage der sexuellen Orientierung überhaupt eine Rolle spielte.

Zwischen der Kießling-Affäre und Klaus Wowereits Statement „Ich bin schwul – und das ist auch gut so!“, das ihn zeitweilig zu einem der beliebtesten Politiker Deutschlands machte, liegen bloß 17 Jahre und doch hat man den Eindruck, es handele sich um zwei verschiedene Zeitalter. Ist es Zufall, dass Ralf genau in diesem Zeitraum zwischen Kießling und Wowereit vom Underground-Zeichner zum Bestsellerautor aufstieg? Wohl kaum. Denn Ralfs Comics schafften, was politische Demonstrationen und Aufklärungsveranstaltungen allein kaum vermocht hätten: Sie veränderten die Einstellungen der heterosexuellen Mehrheit in Deutschland grundlegend. Als 1987 Der bewegte Mann bei Rowohlt erschien, war das nicht nur für Autor und Verlag ein Riesenerfolg, es war auch ein Meilenstein der sexuellen Emanzipationsbewegung, denn Ralfs direkte, offene, witzige Art über Liebe, Lust und Leidenschaft zu sprechen, war ein phantastisches Gegengift zur spießigen Doppelmoral, die noch in den 1980er Jahren tonnenschwer über Deutschland lag.

Ralfs Impakt gerade im heterosexuellen Milieu war gigantisch. Ich kann mich an kaum einen Geburtstag in den späten 80er und 90er Jahren erinnern, an dem ich nicht mindestens ein Ralf-König-Buch geschenkt bekam – oftmals von Leuten, denen ich niemals zugetraut hätte, Bücher wie Bullenklöten, Kondom des Grauens oder Sahnesteif anzufassen, ohne dabei schamhaft zu erröten. Plötzlich war es in Hetero-Kreisen total hip, schwule Comics zu lesen – was gleich in zweifacher Hinsicht bemerkenswert war, erstens, da sich kaum ein Hetero zuvor mit schwuler Literatur befasst hatte, und zweitens, weil das Lesen von Comics gemeinhin als etwas galt, das man eigentlich mit der Kindheit hinter sich gebracht haben sollte.

Dadurch, dass Ralf einen Teil seiner Bücher bei Rowohlt, einem der angesehensten deutschen Literaturverlage, veröffentlichte, erfuhr die Kunstgattung Comic eine Wertschätzung, die sie in Deutschland nie zuvor besessen hatte. Und Ralf tat sein Bestes, um diesem Kunstanspruch gerecht zu werden: Schon mit dem zweiten Buch, das bei Rowohlt erschien, wandte er sich einem der großen Werke der antiken Literatur zu, nämlich der Komödie „Lysistrata“ des griechischen Dichters Aristophanes. Die bekannte Geschichte über den Widerstand der griechischen Frauen, die durch Liebesentzug den Frieden zwischen Athen und Sparta erzwingen, erfährt bei Ralf eine köstliche Wendung, denn die von ihren Frauen verlassenen und von ihren Trieben böse geplagten Athener und Spartaner entdecken – wen wundert‘s? – die  gleichgeschlechtliche Liebe, wodurch sie erkennen, dass es doch sehr viel angenehmere Dinge gibt, als sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.

Wie in Lysistrata hat Ralf in vielen seiner Comics Werke der Weltliteratur eingearbeitet, so zuletzt auch in Raumstation Sehnsucht, in dem mehrere Dramen von Tennessee Williams zusammengeführt werden. Darüber hinaus sind seine Bücher gespickt mit raffinierten Anspielungen auf philosophische oder politische Debatten, so dass sie nicht nur ein sinnliches, sondern auch ein intellektuelles Vergnügen bereiten – sicherlich einer der Gründe für ihren nachhaltigen Erfolg.

Beim Thema „Erfolg“ kommt man natürlich nicht um Sönke Wortmanns Film „Der bewegte Mann“ herum,  der mit 6,5 Millionen Besuchern zu einem der erfolgreichsten Werke der deutschen Kinogeschichte wurde. Auch wenn Ralf in mehrerer Hinsicht Probleme mit der Verfilmung hatte, sorgte sie doch dafür, dass seine Comics danach noch reißenderen Absatz fanden. Der sensationelle Erfolg des Films belegte auch, wie sehr sich die gesellschaftlichen Verhältnisse in dem Jahrzehnt seit der Kießling-Affäre verändert hatten – und so war 1994, das Jahr des Kinostarts von „Der bewegte Mann“, zugleich auch das Jahr, indem der Antischwulenparagraf 175 – nach mehr als 120 Jahren – aus dem deutschen Strafgesetzbuch gestrichen wurde.

Liest man die Comics, die Ralf in den letzten 30 Jahren gezeichnet hat, bekommt man einen hervorragenden Überblick über den Wandel der Verhältnisse. So gibt es einen Comic-Strip aus dem Jahr 1982 zum Thema „Coming out“, in dem der schüchterne Heinz die Worte „Ich bin schwul“ nicht über die Lippen bringt und schließlich bei „Ich bin Schwwwweinshaxe“ landet. 20 Jahre später sieht das „Coming out“ völlig anders aus: In der Neuauflage von 2002 finden es die Eltern absolut prima, dass ihr Sohn auf Männer steht, weshalb sie ihn mit allerlei schrägen Anmach-Tipps versorgen, die sie bei „Arabella“, „Hans Meiser“ oder „Vera am Mittag“ aufgeschnappt haben. Auch so etwas kann wehtun.

Als Chronist der Schwulenbewegung hat Ralf die Höhen und Tiefen der letzten Jahrzehnte wunderbar nachgezeichnet, vom Aids-Drama im bewegenden Comic Super-Paradise bis zur Homo-Ehe in Sie dürfen sich jetzt küssen. Dafür hat er national wie international viel Anerkennung erfahren – auch wenn es dabei hin und wieder zu seltsamen Missverständnissen kam, wie beispielswiese in Spanien Anfang der 2000er Jahre. Eine offenkundig etwas überforderte Dolmetscherin übersetzte damals das Wort „schwul“ mit „depressiv“, so dass Ralf, das vermeintliche Aushängeschild der „internationalen Depressiven-Bewegung“, in einigermaßen mitleidige Gesichter schauen musste. Das Mitleid wich jedoch schnell der Verblüffung, als es dann hieß, dass die „Depressiven“ einmal im Jahr, spärlich bekleidet, riesige, bunte Umzüge durch Köln, Berlin oder San Franzisco veranstalten. „Die spinnen wohl, die Depressiven!“, wird sich da der eine oder andere gedacht haben.

 

Religioten & Co.:
Vom Karikaturenstreit zur Heiligen Ursula

Bis 2004 hatte Ralf das schwule Leben in rund 30 Büchern porträtiert, ab 2005 richtete sich sein Interesse jedoch allmählich auf ein anderes Thema, das ihn in den kommenden Jahren nicht mehr loslassen sollte, den „religiösen Fanatismus“  Und wieder einmal war Ralf ganz nah am Puls der Zeit. Denn genau an dem Tag, an dem der erste Teil von Dschinn Dschinn bei Rowohlt erschien, veröffentlichte die dänische Zeitung Jyllands-Posten ihre später so berühmt gewordenen Mohammed-Karikaturen – und als Ralf im Frühjahr 2006 die Arbeit am zweiten Teil dieser köstlichen Islam-Satire abschloss, brannten bereits zahlreiche Botschaften in der arabischen Welt.

Allein im Februar 2006 kamen im Rahmen des sogenannten „Karikaturenstreits“ 139 Menschen ums Leben, 829 wurden verletzt. Dass sich einige Zeichner angesichts dieser Exzesse verschreckt zurückzogen, kann man durchaus verstehen. Ralf allerdings wollte nicht klein beigeben, denn er wusste, was auf dem Spiel stand. Mit Empörung registrierte er, dass sich einige konservative Politiker in Deutschland als Drittbrettfahrer des religiösen Fundamentalismus erwiesen und eine Verschärfung des alten Gotteslästerungsparagrafen forderten. Spontan veröffentlichte er acht famose Karikaturen, mit denen er das feige Einknicken vor der Militanz fundamentalistischer Hohlköpfe auf die Schippe nahm. Für diesen mutigen künstlerischen Kommentar zum Karikaturenstreit wurde er wenige Wochen später mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet, aber damit war für ihn das Thema „Religion“ noch lange nicht erledigt.

Im Gegenteil: Innerhalb kürzester Zeit brachte Ralf eine erstaunliche Menge von Cartoons und Kurzgeschichten aufs Papier, die die verschiedenen Facetten des religiösen Irrsinns wunderbar bloßlegten (einige dieser kleinen Meisterwerke findet man in dem Sammelband Der dicke König). Doch auch das war ihm nicht genug: Mit seiner viel gelobten Bibeltrilogie Prototyp (Adam), Archetyp (Noah) und Antityp (Paulus) sowie der köstlichen Verwurstung der Kölschen Mär von den Elftausend Jungfrauen veröffentlichte Ralf bei Rowohlt gleich vier religionskritische Bücher hintereinander.

Ab 2007 engagierte er sich darüber hinaus auch im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung und trat in den Medien zunehmend nicht nur als Vertreter der homosexuellen, sondern auch der konfessionsfreien Menschen in Erscheinung. Es war sozusagen ein zweites „Coming out“. Und wie in den 1980er Jahren kam es auch auf diesem Gebiet bald zu gesellschaftlichen Umbrüchen. Tatsachen, die Jahrzehnte unter Verschluss gehalten worden waren, etwa die schrecklichen Verbrechen, die Heim- und Internatskinder in kirchlichen Institutionen erleiden mussten, kamen nun an die Öffentlichkeit. Zudem stießen die milliardenschweren Subventionen für die Großkirchen sowie deren vermeintliches Recht, Lesben, Schwule, Andersdenkende nach Belieben diskriminieren zu dürfen, auf zunehmende Empörung. Ralf war an vielen säkularen Aufklärungskampagnen der letzten Jahre beteiligt. So zeichnete er beispielsweise das Logo für die Berliner Großdemo „Keine Macht den Dogmen“, bei der immerhin 15.000 Menschen auf die Straße gingen, um gegen die Rede des Papstes im Bundestag zu protestierten.

Ganze sieben Jahre lang hat sich Ralf am Thema „Religion“ abgearbeitet – und bei seinem letzten Buch zur Legende um die „heilige Ursula“ konnte man ihn des Öfteren fluchen hören, worauf er sich da bloß eingelassen hat – was sicher aber auch daran lag, dass „Jungfrauen“ (!) nicht unbedingt zu seinen Lieblingsthemen gehören. Wie dem auch sei: Nach siebenjähriger Beschäftigung mit Paulus & Konsorten, ist Ralf mit „Raumstation Sehnsucht“ endlich wieder zu seinem liebenswerten Pärchen Konrad & Paul zurückgekehrt – und das ist auch gut so. Denn wer wollte nicht erfahren, wie es mit diesen beiden so unterschiedlichen Charakteren weitergeht?

 

Paul versus Paulus:
Die subversive Kraft des Humors

Die Ausstellung, in der wir uns hier befinden, zeigt einen repräsentativen Ausschnitt aus den Werken, die Ralf in den letzten Jahren geschaffen hat. Dabei ist der Titel „Paul versus Paulus“ in zweifacher Hinsicht klug gewählt: Zum einen, weil Paulus & Co es tatsächlich geschafft haben, Konrad & Paul einige Jahre aus Ralfs Büchern zu verdrängen, und zum anderen natürlich auch deshalb, weil die realen Paulusse den realen Pauls das Leben so oft zur Hölle gemacht haben und dies auch heute noch tun, sofern sich ihnen die Gelegenheit dazu bietet. Ich meine, in Ralfs Werk würde eine wichtige Komponente fehlen, wenn er sich nicht so entschieden gegen die Paulusse dieser Welt gewehrt hätte, aber ich wünsche Ralf dennoch, dass er sich künftig mit Antitypen dieser Art nicht mehr herumschlagen muss. Denn das Leben ist schon schwer genug – auch ohne den Stress, den durchgeknallte Voll-Religioten in unschöner Regelmäßigkeit produzieren.

Immerhin: Im Unterschied zu anderen Teilen der Welt haben sich die Verhältnisse in Westeuropa in den letzten Jahrzehnten deutlich zum Besseren hin gewendet und ich bin überzeugt, dass die Meister der komischen Kunst, zu denen Ralf zweifellos gehört, einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatten. Denn „Lachen tötet“, wie Friedrich Nietzsche einmal formuliert hat Vor allem tötet Lachen die schreckliche Angst ab, auf der inhumane Herrschaftssysteme seit jeher beruhen. Deshalb auch lässt sich der Freiheitsgrad einer Gesellschaft am besten daran bemessen, wie groß der Spielraum ist, den sie Satirikern gewährt. In jeder Diktatur sind es nämlich zu allererst die Satiriker, die den Druck des Regimes zu spüren bekommen. Warum? Weil sie auf unwiderstehliche Weise das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit bei jenen Großkopferten entlarven, die sich selbst als besondere Autoritäten verstanden wissen wollen.

Ich kann deshalb die Grundaussage nur unterstreichen, die Ralf in seinen Zeichnungen zum Karikaturenstreit so wunderbar zum Ausdruck gebracht hat: Es gibt nun wirklich keinen Grund dafür, sich in irgendeiner Weise für Humor zu entschuldigen! Lassen wir uns also nicht verunsichern von der „Internationale der beleidigten Leberwürste“, die ihre verletzten Gefühle so gerne vorzeigt, um auf diese Weise die eigene Borniertheit noch besser unter „Denkmal-Schutz“ (im doppelten Sinne des Wortes) stellen zu können. Vergessen wir nicht: Hätten die Aufklärer der Vergangenheit nicht permanent Gefühle verletzt, würden die Scheiterhaufen womöglich noch heute brennen. In einer offenen Gesellschaft ist daher das Recht, beleidigen zu dürfen, sehr viel wichtiger, als das Recht, nicht beleidigt zu werden – zumal die Beleidigungsanfälligkeit mancher Zeitgenossen so stark ausgeprägt ist, dass man kaum etwas von Bedeutung sagen kann, ohne sie in ihrem tiefsten inneren Wesen schwer zu erschüttern.

Menschen, die derart heftig unter chronischer Kritik- und Satire-Phobie leiden, ist übrigens nicht damit geholfen, wenn wir uns aus falsch verstandenem Mitleid vornehm zurückhalten. Denn aus der Erforschung anderer Phobien (etwa der Spinnenphobie) wissen wir sehr genau, dass gerade das Ausbleiben des aversiven Reizes zu einer weiteren Verschlimmerung der Symptome führt. Der beste Weg zur Heilung besteht daher in der direkten Konfrontation mit dem Verhassten – in dem einen Fall mit Spinnen, im anderen Fall mit Satire. Wer also chronischen Satire-Neurotikern wirklich helfen will, der sollte sie von morgens bis abends mit möglichst deftigen Karikaturen versorgen, so dass sie irgendwann einmal von selbst erkennen, dass es nicht nötig ist, aufgrund einer harmlosen Zeichnung in die Luft zu gehen, oder schlimmer noch: andere in die Luft zu sprengen.

Kurzum: Es ist keineswegs eine Freveltat, sondern vielmehr ein Akt der tätigen Nächstenliebe, wenn man die religiösen oder politischen Gefühle anderer verletzt. Die damit einhergehende Respektlosigkeit ist sogar Ausdruck eines besonderen Respekts gegenüber den Kritisierten. Denn wer andere bloß deshalb mit Satire verschont, weil sie mit ihr möglicherweise nicht richtig umgehen können, der behandelt seine Adressaten nicht respektvoll, nicht wie gleichwertige Kommunikationspartner, sondern vielmehr wie kleine Kinder, von denen man glaubt, dass man ihnen unangenehme Wahrheiten nicht zumuten darf. Das heißt: Wer seine Mitmenschen wirklich respektiert, sollte sie immer wieder mal mit kleineren oder größeren Respektlosigkeiten beschenken, damit sie nicht geistig träge werden.

Meine Damen und Herren, ich weiß natürlich, dass ich mit diesen Anmerkungen Eulen nach Athen bzw. Elche ins caricatura museum trage – und eben dies ist auch der Grund dafür, warum ich mich ganz besonders gefreut habe, diese Laudatio hier in Frankfurt halten zu dürfen. Denn wie Ralf in Köln haben auch die Frankfurter Satiriker (das caricatura museum, die Neue Frankfurter Schule und nicht zuletzt die Titanic) maßgeblich dazu beigetragen, dass die subversive Kraft des Humors in Deutschland neuen Auftrieb erhalten hat. Ich möchte deshalb nicht nur Ralf, sondern Ihnen allen meinen allertiefsten Respekt für die gesammelten Respektlosigkeiten der letzten Jahrzehnte zollen. Das war nicht nur in vielen Fällen schreiend komisch, sondern hat es auch sehr viel erträglicher gemacht, in dieser Gesellschaft zu leben. Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit…

 

Weitere Infos zur Ausstellung gibt es auf der Website des caricatura museum frankfurt.