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Das alternative Pilgerprogramm hat begonnen

Erfolgreicher Auftakt der Kunstaustellung "Reliquie" und der Veranstaltungsreihe "Heilig’s Röckle!"

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Papst trifft Hitler in Trier, Foto: Jörg Salomon

Mit einem spektakulärem "Walk Act" von Wolfram P. Kastner (gbs-Beirat) und Linus Heilig (gbs-Fördermitglied), die als Papst und Hitler verkleidet durch die Trierer Innenstadt zogen, haben am vergangenen Samstag die kritischen Begleitveranstaltungen zur Heilig-Rock-Wallfahrt in Trier begonnen. Der Weg von Papst und Hitler führte entlang der Pilgerscharen am Dom und endete schließlich bei der feierlichen Enthüllung des "Marx-Altars" mit der "Heiligen Unterhose" des Trierer Philosophen. Wenig später wurde die Kunstausstellung "Reliquie – Fetisch in Kirche, Kunst & Konsum" in der Tuchfabrik Trier eröffnet, wo am Sonntagabend auch die Veranstaltungsreihe "Heilig’s Röckle!" mit einem theologischen Vortrag über den "Jesus-Wahn" startete. "Besser hätte der Auftakt des alternativen Pilgerprogramms kaum verlaufen können", meinte gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon.

 

Mit ihrer Kunstaktion "Papst trifft Hitler" machten Wolfram P. Kastner und Linus Heilig auf das (in abgewandelter Form) bis heute geltende Reichskonkordat aufmerksam, das 1933 zwischen dem Nazi-Regime und dem Vatikan geschlossen wurde (siehe das hier dokumentierte Flugblatt, das von Mitgliedern der "Evolutionären Humanisten Trier" während der Kunstaktion verteilt wurde). Als Ort für diese Kunstaktion ist Trier bestens geeignet, denn die Stadt spielte bei dem Zustandekommen des Reichkonkordats eine besondere Rolle. Schließlich war es ein Trierer, der Prälat Ludwig Kaas, der an der Seite seines Freundes Eugenio Pacelli, des späteren Papstes Pius XII., den Vertrag für den Vatikan aushandelte. Kaas war es auch, der als Fraktionsvorsitzender der katholischen Zentrumspartei Hitler die erforderlichen Stimmen für das "Ermächtigungsgesetz" besorgte, was die Nazi-Diktatur erst möglich machte. Zudem fand in Trier mit der Heilig-Rock-Wallfahrt im "Heiligen Jahr 1933" das internationale Ereignis statt, mit dem die "neue Harmonie" zwischen katholischer Kirche und Nationalsozialismus öffentlichkeitswirksam zelebriert wurde. Bei dieser "größten Heilig Rock Wallfahrt aller Zeiten", zu der rund 2,2 Millionen Pilger nach Trier kamen, salutierten Bischöfe und Priester mit dem Hitlergruß, während die Braunhemden von der SA "viel ehrenamtliches Engagement" zeigten, indem sie mit ihren Blaskapellen fromme Choräle intonierten und als Wallfahrts-Ordnungskräfte die Pilgerströme zur Reliquie leiteten.

 

Tableau vivant an historischen Orten

Kastner und Heilig nutzten bei ihrer Aktion die künstlerische Ausdrucksform des "Tableau vivant", des "lebenden Bildes". Aufgrund der vor dem Dom versammelten Pilgerscharen sowie der Geschichte der Stadt ging dieses Konzept in Trier noch eindrucksvoller auf als bei den vorangegangenen Aktionen in München und Berlin. Denn Trier ist nicht nur mit der Entstehung des Reichskonkordats, sondern als ehemaliger Regierungssitz des römischen Kaisers Konstantin auch mit der verhängnisvollen Vermählung von Thron und Altar eng verknüpft (Stichwort: "Konstantinische Wende"). Und so passierten Papst und Hitler auf ihrem Weg durch die Stadt viele geschichtsträchtige Orte: Sie posierten vor der monumentalen Fußskulptur Konstantins in der Nähe der Kaiserthermen; besuchten den einstigen Regierungssitz (Kurfürstliches Palais) des Trierer Bischofs, der als Kurfürst zugleich auch weltlicher Herrscher war; standen vor dem antijüdischen Portal der Trierer Liebfrauenkirche; wanderten durch die Pilgerströme, die sich vor dem Dom versammelt hatten, um das gefälschte Gewand Jesu zu bestaunen; besuchten die Porta Nigra, die auf Befehl Napoleons im frühen 19. Jahrhundert von einer Doppelkirche zum römischen Stadttor rückverwandelt wurde (mit Napoleons Säkularisierungsmaßnahmen werden noch heute die Staatsleistungen an die Kirchen rechtfertigt); machten Halt vor dem Gebäude des Trierer Priesterseminars, in dem Ludwig Kaas nicht nur als Theologie-Professor gewirkt, sondern bereits sein Abitur in Empfang genommen hatte (neben ihm auch Karl Marx, Klaus Barbie ("der Schlächter von Lyon") oder Kardinal Höffner); und natürlich besuchten sie auch das alte Judengetto, das im Mittelalter einem christlich-antijüdischem Progrom zum Opfer fiel, sowie jene Stelle, an der einst die jüdische Synagoge stand, die in der Reichspogromnacht vom nationalsozialistischen Mob niedergebrannt wurde.

Wie schon in München und Berlin wurde die Kunstaktion auch in Trier durch die Polizei unterbrochen. Passenderweise am mittelalterlichen Pranger, an dem man einst Ketzer öffentlich abstrafte, prangerten Passanten Kastner und Heilig an, ihre "religiösen Gefühle" verletzt zu haben. Die beiden wurden daraufhin in die als "Heilig-Rock-Wacht" bezeichnete Polizeistation geführt, wo ihre Personalien aufgenommen wurden. Nachdem Kastner die Ordnungshüter sowohl über den Sinn wie auch die Rechtmäßigkeit der Aktion aufgeklärt hatte, konnte die Kunstaktion nach zwanzig Minuten wieder fortgesetzt werden. So konnten Papst und Hitler auch noch das Karl-Marx-Geburtshaus besuchen und jenem Philosophen die Aufwartung machen, der wider Willen selbst zum Propheten einer eigenen, weltgeschichtlich bedeutsamen Politreligion gemacht wurde. Drei Häuser weiter fand der Walk Act dann seinen krönenden Abschluss, als im Schaufenster des "Zupport" (Brückenstraße 16) der "Marx-Altar" mit der "Heiligen Unterhose" enthüllt wurde.

 

Beginn der "Heilig-Hos‘-Wallfahrt"

Der Trierer Künstler Helmut Schwickerath, der den Marx-Altar in Zusammenarbeit mit seiner Tochter Gepa Schwickerath geschaffen hat, erläuterte vor einem andächtig lauschenden Publikum nicht nur den Aufbau des dreiteiligen Altars (u.a. die Insignien von Marx, seiner Haushälterin Helene Demuth sowie der neulinken Ikone Sahra Wagenknecht), sondern auch die abenteuerliche Reise der Marx-Reliquie, die letztlich in den Besitz des mysteriösen "Geheimbundes der heiligen Unterhose" gelangte. Durch den Erwerb der Katz-Sonderausgabe "Im Namen der Hose" (auch im denkladen erhältlich) konnten die Unterhosenpilger vor Ort den "vollkommenen Ablass" erhalten, was viele Anwesende sofort in Anspruch nahmen. Im Anschluss an die Altar-Enthüllung wurde Wein und Brot gereicht – letzteres passenderweise in Gestalt der "Heiligen Unterhose". Nach diesem ganz besonderen "ökumenischen Abendmahl" nutzen viele Heilig-Hos‘-Pilger die Gelegenheit, "Heilig-Hos‘-Postkarten" zu erwerben, wobei vor allem die Reliquienkarte mit dem Originalfaden des Marxschen Beinkleides reißenden Absatz fand (sämtliche Devotionalien sind noch in den nächsten Wochen im "Zupport" erhältlich).

In den Medien fanden beide Aktionen großen Anklang. Mitunter stellte die Berichterstattung über Papst und Hitler sowie über den Marx-Altar sogar die Meldung über die Heilig-Rock-Wallfahrt in den Schatten – und dies, obwohl die offizielle Wallfahrt im Unterschied zum alternativen Pilgerprogramm mit Millionenbeträgen von Staat und Kirche unterfüttert ist. So überschrieb SPIEGEL ONLINE den Bericht über die Wallfahrt mit dem Titel "Heiliges Höschen, erhöre uns!", während WELT ONLINE titelte: "Protest mit Hitler, Papst und "Heiliger Unterhose" (siehe die Links am Ende dieses Artikels).

 

"Fetisch in Kirche, Kunst & Konsum" und "Jesuswahn"

Nach den beiden Auftaktaktionen wurde schließlich am Samstagabend in der Tuchfabrik Trier die Ausstellung "Reliquie – Fetisch in Kirche, Kunst & Konsum" durch eine Rede des Kunsttheoretikers und Aktionskünstlers Bazon Brock eröffnet. Die zahlreichen Exponate der Ausstellung, unter anderem die eindrucksvollen "Toastwerke" von Jörg Baltes, der an den Missbrauchskandel erinnernde "Penis-Rosenkranz" von Martina Diederichs sowie die vielen anderen ausgestellten Werke renommierter Künstler wie Joseph Beuys und Klaus Staeck, beeindruckten viele Vernissage-Besucher. Deutschlandradio Kultur urteilte: "Nicht nur die Teufelsaustreibung im Reliquienkiosk macht die Alternativ-Schau zur Heilig-Rock-Wallfahrt unbedingt sehenswert – vor allem für Freunde gewitzter Kirchenkritik." (Die TUFA-Ausstellung ist – bis auf montags – täglich geöffnet, Öffnungszeiten siehe hier).

Am Sonntagabend begann dann auch der Veranstaltungszyklus "Heilig’s Röckle!" mit einem Vortrag zum Thema "Der Jesus-Wahn: Wie sich die Christen ihren Gott erschufen". Der promovierte Theologe und Religionskritiker Heinz-Werner Kubitza machte in seinem Vortrag klar, dass nicht nur der sog. "Heilige Rock" in keiner Verbindung zu Jesus von Nazareth steht, sondern dass auch der geglaubte Christus mit der historischen Person, auf die sich dieser Glaube angeblich bezieht, kaum etwas gemein hat. Tatsächlich hatte der historische Jesus nie die Absicht, eine neue Religion zu begründen oder gar zum Gott erhoben zu werden. Obwohl diesbezüglich in der historisch-kritischen Theologie weitgehend Einigkeit besteht, tut die Kirche in ihrer Verkündigung noch immer so, als gebe es die Forschungsergebnisse ihrer eigenen Theologen nicht. Kubitzas Fazit war eindeutig: "Die Kirchen haben kein historisches Fundament, die Kathedralen wurden auf dogmatischem Sand errichtet. Das Christentum bewegt sich in der Weltgeschichte ohne Fahrschein."

 

Ein markanter Kontrapunkt zur Heilig-Rock-Wallfahrt

gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon zeigte sich über den Auftakt des alternativen Pilgerprogramms sehr zufrieden: "Es ist uns gelungen, einen markanten Kontrapunkt zur Heilig-Rock-Wallfahrt zu setzen. Besonders erfreulich ist, dass sämtliche Aktionen bislang erstaunlich positiv aufgenommen wurden. Vor 16 Jahren, bei der letzten Heilig-Rock-Wallfahrt, war dies noch deutlich anders. Ich bin nun sehr gespannt, ob dieser positive Trend weiterhin anhalten wird. Wir stehen ja erst am Anfang des alternativen Pilgerprogramms…"

Schon in der nächsten Woche (Sonntag, 22.4., 20 Uhr) wird „Heilig’s Röckle!“ mit einem Vortrag von Ingrid Matthäus-Maier fortgesetzt werden. Die ehemalige FDP- und SPD-Spitzenpolitikerin wird das Motto der Wallfahrt "Und führe zusammen, was getrennt ist" umdrehen und unter dem Titel "Und trenne, was nicht zusammengehört!" über die notwendige Trennung von Staat und Kirche sprechen. Wenige Tage später (Mittwoch, 25.4., 20 Uhr) wird Michael Schmidt-Salomon sein aktuelles Buch "Keine Macht den Doofen!" vorstellen und dabei unter anderem die vielfältigen Folgen "heiliger Einfalt" analysieren. Am 23. Mai wird Andreas Altmann aus seinem hochgelobten Bestseller "Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend" vortragen, in dem der Autor seine Erfahrungen als Sohn eines bigott-autoritären Devotionalienhändlers aus Altötting verarbeitet. Als Abschluss der "Heilig’s Röckle!"-Veranstaltungsreihe wird Ralf König am 30.5. aus seinen religionskritischen Comics lesen. Wer "die wundersame Welt der Religioten" (Schmidt-Salomon) mit Humor nehmen kann, sollte sich "Gottes Werk und Königs Beitrag" nicht entgehen lassen…

 

Bilder vom Auftakt des alternativen Pilgerprogramms

 

 

(Von links nach rechts: Papst und Hitler... vor Konstantins Fuß, vor der Open air-Wallfahrtsbühne, vor einer Bühne mit dem Wallfahrtsmotto, vor dem Kurfürstlichen Palais, vor dem Dom, vor dem Eingang zum alten Judengetto, vor dem Priesterseminar, im Gespräch mit der Polizei, vor der Heilig-Rock-Schutzwache, am Mahnmal für die niedergebrannte Trierer Synagoge, unter dem Straßenschild "An der alten Synagoge", vor dem Karl-Marx-Geburtshaus, bei der Enthüllung des Marx-Altars mit der "Heiligen Unterhose". Fotos: Jörg Salomon; "Heilig-Hos'-Postkarte": Gepa Schwickerath. Zum Vergrößern bitte die Bilder anklicken)

Links zu dieser Meldung

SPIEGEL ONLINE-Bericht „Heiliges Höschen, erhöre uns!“: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,827597,00.html

WELT ONLINE Meldung „Protest mit Hitler, Papst und "Heiliger Unterhose": http://www.welt.de/kultur/article106185363/Protest-mit-Hitler-Papst-und-...

Humanistischer Pressedienst (hpd) über die Aktionen "Papst trifft Hitler" und "Heilige Unterhose":
http://hpd.de/node/13229

Trierischer Volksfreund über "Papst trifft Hitler":
http://www.volksfreund.de/nachrichten/region/heilig_rock_wallfahrt_2012_...

16vor über „Papst trifft Hitler“:
http://www.16vor.de/index.php/2012/04/14/ist-das-jetzt-der-papst/

Ein Video von Wilfried Jaspers über die beiden Kunstaktionen:
http://www.youtube.com/watch?v=FFMHxQwIHyU&feature=youtu.be

Deutschlandradio Kultur über die TUFA-Ausstellung:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/fazit/1730842/

Trierischer Volksfreund über die Austellungseröffnung:
http://www.volksfreund.de/nachrichten/region/kultur/Kultur-in-der-Region...

16vor über die Ausstellungseröffnung:
http://www.16vor.de/index.php/2012/04/16/kunst-darf-das-kunst-muss-das/

Website zum alternativen Pilgerprogramm:
http://www.heiligs-roeckle.de

Website zur Heilig-Hos'-Wallfahrt:
http://www.marx-altar.de/

Website zum Buch „Der Jesuswahn“ von Heinz-Werner Kubitza:
http://www.jesuswahn.de/

KATZ-Sonderausgabe "Im Namen der Hose" bei denkladen.de:
http://www.denkladen.de/product_info.php/info/p1828