»Passion Giordano Bruno« in neuem Gewand
Video-Collage zum 100. Geburtstag des Komponisten Gerhard Wimberger
Am heutigen 30. August jährt sich der Geburtstag des österreichischen Komponisten Gerhard Wimberger zum 100. Mal. Die Giordano-Bruno-Stiftung erinnert an ihren 2016 verstorbenen Beirat mit einer ungewöhnlichen Video-Collage zu Wimbergers letztem großen Werk – der "Passion Giordano Bruno", die vor 10 Jahren bei den "Salzburger Festspielen" das Publikum begeisterte.
Eigentlich hatte Gerhard Wimberger sein kompositorisches Werk, etwa ein Dutzend Bühnenstücke sowie rund 40 Kompositionen für den Konzertsaal, abgeschlossen, als er Anfang 2007 gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon und gbs-Geschäftsführerin Elke Held als Übernachtungsgäste in seinem Salzburger Domizil empfing. Der österreichische Komponist und Dirigent hatte viel erreicht: Seine Werke wurden von führenden Orchestern der Welt, u.a. den Wiener und Berliner Philharmonikern, aufgeführt. Er hatte mit Schriftstellern wie Erich Kästner und Komponisten wie Carl Orff zusammengearbeitet und mit Herbert von Karajan die Salzburger Festspiele geleitet. Mit seinen 83 Jahren wolle er sich den Strapazen einer neuen Komposition nun nicht mehr unterziehen, gestand Wimberger seinen Gästen. Eher scherzhaft überlegten die drei, was der Komponist noch hätte schaffen können, wenn er etwas jünger wäre. Dabei entstand die Idee zu einer Passion, die sich dem Leidensweg Giordano Brunos widmet – in Anlehnung an die berühmte "Matthäus-Passion", in der Johann Sebastian Bach den (fiktiven) Leidensweg des Jesus von Nazareth musikalisch schildert.
Die Idee zu einer solchen Passion faszinierte Gerhard Wimberger, obgleich er zweifelte, eine solch große Komposition noch zustande zu bringen. Dass ihn der Gedanke dennoch nicht losließ, war daran zu erkennen, dass er Schmidt-Salomon in den folgenden Wochen regelrecht mit Fragen zu Giordano Bruno bombardierte. Nur drei Monate später drückte er seinem Stiftungskollegen die vollständige Partitur der Passion in die Hand. "Ich war ebenso verblüfft wie begeistert, als ich die Partitur las", erinnert sich Schmidt-Salomon. "Mir war klar, dass es sich dabei um ein bedeutendes Werk der Neuen Musik handelte. Gerhard musste wie ein Besessener daran gearbeitet haben. Nun allerdings standen wir vor einem Problem: Wie sollte man ein solch aufwändiges Stück zur Aufführung bringen? Zeitgenössische Musik ist ja nicht gerade beliebt in den Konzertsälen der Welt…"
Uraufführung bei den Salzburger Festspielen (2013)
Die ersten Anläufe zur Uraufführung verliefen im Sand, doch sechs Jahre später war es so weit: Die "Passion Giordano Bruno" wurde zum Abschluss der "Salzburger Festspiele 2013" an zwei Konzertabenden im Mozarteum aufgeführt. Es war ein bemerkenswerter Erfolg: Beide Aufführungen mit dem Salzburger Bachchor, dem Mozarteumorchester, Burgschauspieler Peter Simonischek und Bassbariton Roman Trekel unter der Leitung des Star-Dirigenten Hans Graf wurden vom Publikum mit stehenden Ovationen gefeiert. Für die Giordano-Bruno-Stiftung schrieb Schmidt-Salomon vor 10 Jahren einen begeisterten Konzertbericht, der mit einer hoffnungsvollen Prognose endete: "Es war das erste Mal, dass ein solches Werk mit einer solchen Aussage auf einem der bedeutendsten Klassik-Festivals der Welt erklungen ist – und es wird, da bin ich mir sicher, nicht das letzte Mal gewesen sein". Diese Einschätzung hat sich jedoch (bislang) nicht bewahrheitet. Die beiden Aufführungen der "Passion Giordano Bruno" in Salzburg blieben die einzigen bis zum heutigen Tag.
"Es wäre eine Schande, wenn dieses Werk in Vergessenheit geriete", sagt der Vorsitzende der Giordano-Bruno-Stiftung heute. "Ich fühle in dieser Hinsicht auch eine gewisse Verantwortung: Gerhard, der drei Jahre nach der Uraufführung starb, hat mir seine komplette Computerfestplatte zur Verfügung gestellt. Zudem habe ich von dem Komponisten Graziano Mandozzi Videoaufnahmen der beiden Salzburger Aufführungen erhalten. Leider ist die Bildqualität nicht gut genug, um sie auf eine Videoplattform hochzuladen. Daher kamen wir auf die Idee, zu Gerhards 100. Geburtstag eine Video-Collage zu erstellen, die den Lebens- und Leidensweg Brunos optisch wiedergibt und zugleich die ausdrucksstarke Musik der Passion voll zur Geltung bringt."
Video-Collage mithilfe von Künstlicher Intelligenz (2023)
Die Produktion der Video-Collage hat der Intermedia-Designer Julian Held übernommen, der bereits die Musik zur gbs-Doku "Hans Albert – Der Jahrhundertdenker" geschaffen hat. "Für diese Collage brauchte es jemanden, der nicht nur den Inhalt der Passion, sondern auch die Musik versteht, der die Partitur lesen kann und in der Lage ist, Gerhards textlich-musikalische Dramaturgie in eine visuelle zu übersetzen", erklärt Schmidt-Salomon. "Ein grundlegendes Problem dabei war, dass es kaum bildliche Darstellungen von Brunos Leidensweg gibt. Dies führte zu dem Entschluss, die Bilder zu dessen dramatischem Leben und Sterben mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu generieren. Doch das ist leichter gesagt als getan. Selbst bei perfekter Instruktion muss man Tausende von KI-Bildern generieren, um 50 brauchbare zu erhalten. Auch in diesen Bildern findet man mitunter noch skurrile Elemente, die an Hieronymus Bosch erinnern, aber das hat in diesem Fall gar nicht geschadet, sondern den Gesamteindruck noch verstärkt."
Hätte Gerhard Wimberger an einer solchen mithilfe von KI generierten Collage Gefallen gefunden? Schmidt-Salomon ist davon überzeugt: "Gerhard zählte zu den technikaffinen Komponisten. Schon früh hat er Synthesizer eingesetzt und am Computer komponiert. Ich glaube daher, dass ihm diese Collage sehr zugesagt hätte. Umso mehr freue ich mich, dass wir die Passion nun zu Gerhards 100. Geburtstag in diesem neuen Gewand präsentieren können! Vielleicht, so meine Hoffnung, wird diese ungewöhnliche Darbietung der Musik auch ein wenig dazu beitragen können, dass Dirigenten, Orchester, Festivalleitungen die außerordentliche Qualität von Gerhards Werk wiederentdecken. Denn Komponisten seines Schlags sind selten. Im Unterschied zu vielen anderen hatte Gerhard wirklich etwas zu sagen – man höre und lese nur den abschließenden Choral, den er für die Bruno-Passion geschrieben hat! Gerhards Musik ist eben nicht bloß Musik, sie weist über das Musikalische hinaus – und genau dies macht seine Tongemälde so einzigartig."
Text und Musik: Gerhard Wimberger (unter Verwendung von Originalzitaten) +++ Regie, Animation & Schnitt: Julian Held +++ Sprecher: Peter Simonischek +++ Bassbariton: Roman Trekel +++ Salzburger Bachchor +++ Mozarteumorchester +++ Dirigent: Hans Graf +++ Videoaufnahme der Uraufführung: Graziano Mandozzi +++ Fotografie (Gerhard Wimberger): Evelin Frerk +++ Fotografie (Bruno-Denkmal): Roland Dahm +++ Videoproduktion im Auftrag der Giordano-Bruno-Stiftung 2023
Videolink: https://www.youtube.com/watch?v=AQyRAph3w9o
Links zu dieser Meldung:
- Uraufführung der "Passion Giordano Bruno": Konzertbericht aus dem Mozarteum Salzburg (2013)
- Ein musikalischer Freigeist: Nachruf auf Gerhard Wimberger (2016)