You are here

»Wir wollen auch die Konfessionsfreien sichtbar machen«

Der Bundesbeauftragte für Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Gespräch mit säkularen Verbänden

pm_bundesbeauftragter_weltanschauungsfreiheit.png

Gespräche zur Weltanschauungsfreiheit im BMZ (9. September 2024)

Gerade auch nichtreligiöse Menschen werden weltweit religiös verfolgt, stellten die Vertreterinnen und Vertreter säkularer Verbände in einem Gespräch mit dem Bundesbeauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe (SPD) fest. Es war ein sehr konstruktives Treffen, in dem auch die innen- wie außenpolitisch fatale Wirkung des deutschen »Gotteslästerungsparagrafen« 166 StGB thematisiert wurde.

Auf Einladung des Bundesbeauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe, fand am 9. September 2024 ein Fachgespräch im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) statt. Neben Philipp Möller (Zentralrat der Konfessionsfreien), Mina Ahadi (Zentralrat der Ex-Muslime), Dustin Altermann (Säkulare Flüchtlingshilfe), Michael Schmidt-Salomon (Giordano-Bruno-Stiftung) sowie Carmen Wegge und Sabine Smentek (Arbeitskreis Säkularität und Humanismus  der SPD) brachte sich auch der frühere Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats Heiner Bielefeldt in die Debatte ein.

»Wir haben mein Amt, das unter der Vorgängerregierung mit dem Fokus auf die Religionsfreiheit eingerichtet worden ist, ganz bewusst um den Begriff der Weltanschauungsfreiheit erweitert«, erklärte Frank Schwabe zu Beginn des Gesprächs, »denn wir wollen auch die Konfessionsfreien sichtbar machen.« Beim Schutz der Religionsfreiheit gehe es nicht nur um das Recht auf Religiosität, pflichtete Heiner Bielefeldt ihm bei, sondern auch um das Recht, frei von Religion zu sein. Dazu hatte Schwabe sich schon im März dieses Jahres in einem Interview mit hpd.de geäußert.

 
Megatrend: Säkularisierung

»Die Gruppe der Religiösen wird nicht nur in Deutschland rapide kleiner«, stellte Philipp Möller fest. »Säkularisierung ist ein Megatrend, der in den künftigen Berichten der Bundesregierung untersucht und repräsentiert werden sollte.« So könne dargestellt werden, dass Konfessionsfreie in weiten Teilen der Welt zwar eine große und teilweise sogar die größte Bevölkerungsgruppe darstellen, sie aber oft religiös vereinnahmt, unterdrückt oder gar mit dem Tode bedroht werden.

Diese Aussage unterstützte Mina Ahadi mit Berichten aus Ihrer einstigen Heimat Iran, aus der sie vor dem Mullah-Regime fliehen musste, aber auch mit Erfahrungen anderer Mitglieder aus dem Zentralrat der Ex-Muslime. »Auch in Deutschland können sich bekennende Ex-Muslime leider nicht sicher fühlen«, erklärte Ahadi. »Deshalb verstehen wir nicht, warum die deutsche Politik bevorzugt mit Vertretern eines repressiven bis radikalen Islam zusammenarbeitet.« Zudem wundere sie sich über die Angabe aus dem letzten Bericht der Bundesregierung, nach dem 99,4 Prozent der Menschen im Iran dem Islam angehören.

 
Religionspolitische Vorbildfunktion 

Dazu verwies Michael Schmidt-Salomon auf die Diskrepanz zwischen den Angaben der iranischen Regierung und Befragungen der Bevölkerung. »Rund 70 Prozent der Menschen im Iran sind laut unabhängigen Umfragen nicht religiös, aber sie müssen starke Repressalien fürchten, wenn dies bekannt wird. Für solche Menschen sollte sich die Bundesregierung im Iran, aber auch weltweit stärker einsetzen.« In diesem Zusammenhang berichtete er auch von der mangelnden Unterstützung deutscher Behörden im Kampf für die Freiheit des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi. 

Am Beispiel eines laufenden Strafverfahrens gegen drei Exil-Iraner in Hamburg schlug Schmidt-Salomon schließlich die Brücke zwischen den hiesigen Privilegien der Religionsgemeinschaften und einer ungünstigen Vorbildfunktion Deutschlands in der Welt: »Das iranische Mullah-Regime nutzt den deutschen ›Gotteslästerungsparagrafen‹, um Menschen hierzulande wegen Religionskritik anzuzeigen.« Die Beschuldigten hatten vor der Blauen Moschee gegen das inzwischen geschlossene »Islamische Zentrum Hamburg« sowie das gewaltsame religiöse Regime im Iran demonstriert. Daraufhin hat die iranische Regierung die Stadt Hamburg aufgefordert, die Demonstranten nach § 166 StGB zu bestrafen – mit Erfolg. »Solange der Paragraf 166 noch im Strafgesetzbuch steht, kann Deutschland die Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Ausland nicht glaubhaft vertreten«, sagte der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung.

In diesem Punkt stimmte Heiner Bielefeldt den säkularen Verbänden zu: »Das sogenannte Blasphemieverbot ist mindestens missverständlich und offenbar auch missbräuchlich«, ergänzte er und sprach sich für die Aufhebung der Strafnorm aus. An dieser Stelle berichtete Carmen Wegge (MdB), dass inzwischen auch ein Gutteil des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags die Auffassung vertrete, der § 166 StGB solle gestrichen werden. Ob diese Forderung der »Free Charlie!«-Kampagne tatsächlich umgesetzt werde, hänge allerdings noch von der Akzeptanz der Religionsgemeinschaften in Deutschland ab, unter denen es teils heftigen Widerstand gebe.

 
Gleichberechtigung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften 

Die Verletzungen des Verfassungsgebotes der weltanschaulichen Neutralität des Staates gingen aber weit über § 166 StGB hinaus, argumentierte Philipp Möller. Als Beispiel nannte er den Bekenntnisunterricht an Schulen, die Kirchensteuer, die Staatsleistungen, das kirchliche Sonderarbeitsrecht, Kruzifixe in Behörden und die Legalisierung religiöser Genitalbeschneidung. »Auch im Lichte internationaler Religionspolitik wünschen wir uns von Ihnen«, adressierte er Frank Schwabe, »dass Sie die Regierung und das Parlament für die Pflicht des Staates zur Gleichberechtigung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sensibilisieren.« Spätestens durch den erstarkenden Politischen Islam sei es dringend nötig, Kirchenprivilegien abzubauen und alle Religionsgemeinschaften zur Einhaltung allgemeingültiger Gesetze zu verpflichten. »Deutschland sollte mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen, dass Freiheit und Sicherheit nur durch Säkularität garantiert werden können.« Zudem rief er die Politik dazu auf, Migranten aus islamisch regierten Ländern nicht auf ihre religiöse Identität zu reduzieren. »Für acht von zehn Menschen in Deutschland spielt der Glaube keine Rolle – dieser friedliche Wandel sollte zur Geltung kommen.«

 
Schutz für Ex-Muslime auch in Deutschland erforderlich

Mit Blick auf die gefährliche Lage geflüchteter Ex-Muslime, die auch in Deutschland bedroht werden, brachte der Vorsitzende der Säkularen Flüchtlingshilfe e.V., Dustin Altermann, den Vorschlag ein, eigene geschützte Unterkünfte zu eröffnen. »Wir betreuen Menschen, die vor islamistischer Unterdrückung und Gewalt geflohen sind«, berichtete er, »aber in deutschen Einrichtungen gelten sie bei anderen Geflüchteten oft als vogelfreie Apostaten und Ungläubige – und werden erneut von radikalen Religiösen bedroht und tätlich angegriffen. Ein besonderes Schutzkonzept für säkulare Flüchtlinge und Ex-Muslime in Deutschland hätte eine internationale Signalwirkung«, fasste Altermann zusammen.

Nach dem knapp zweistündigen Gespräch dankte Schwabe den Teilnehmern für die intensive und konstruktive Diskussion und kündigte die Fortsetzung des Austausches an. Bis zum Ende der Legislaturperiode werde eine Publikation erscheinen, die sich mit der weltweiten Lage konfessionsfreier Menschen befasst.

Leicht veränderte Übernahme einer Presseerklärung des Zentralrats der Konfessionsfreien.