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Missbrauchsskandal: Die Kirche vor Gericht

»Hängemattenbischof« unterstützt Schmerzensgeldklage gegen das Bistum Hildesheim

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Archivbild: Der »Hängemattenbischof« zu Besuch auf dem Katholikentag 2024 vor dem Domplatz in Erfurt

Jens Windel wurde zwischen seinem neunten und elften Lebensjahr in rund 90 Fällen von einem katholischen Pfarrer missbraucht, der bereits 20 Jahre zuvor auffällig geworden war und von der Kirche insgesamt fünfmal versetzt wurde. Um dem wegweisenden Schmerzensgeldprozess vor dem Landgericht Hildesheim die notwendige Aufmerksamkeit zu verschaffen, wird die gbs-Aktionsgruppe »11. Gebot« mit dem »Hängemattenbischof« vom 6. bis 8. November in Hildesheim vor Ort sein.

Am Freitag, dem 8. November, beginnt der Zivilprozess von Jens Windel gegen das Bistum, bei dem es um einen besonders schweren Fall von sexueller Nötigung geht, nämlich der mehrfachen Penetration eines minderjährigen Messdieners. Möglich wurden diese Verbrechen nur durch die Vertuschungstaktik der katholischen Kirche, die den mehrfach auffällig gewordenen Straftäter deckte und ihm weiterhin Zugang zu Kindern und Jugendlichen verschaffte. Der Pfarrer, der 2002 starb, ohne jemals strafrechtlich belangt worden zu sein, kann für seine Taten nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden – wohl aber die katholische Kirche, die ihre »Dienstaufsicht« in gröbster Weise verletzte, zu der sie als »Körperschaft des öffentlichen Rechts« in besonderem Maße verpflichtet ist.

Jens Windel, der durch den schweren Missbrauch in privater wie beruflicher Hinsicht nachhaltig geschädigt wurde, fordert vom Bistum nun eine Entschädigung in Höhe von mindestens 400.000 Euro plus Zinsen und Folgekosten. Die katholische Kirche, welche die Missbrauchstaten in einem kircheninternen Verfahren bereits anerkannt und zunächst eine erste, geradezu beleidigende Zahlung von 1.000 Euro (!) sowie später nach weiteren Anträgen eine – angesichts des erlittenen Schadens immer noch erschütternd geringe – Gesamtentschädigung von 50.000 Euro an Jens Windel geleistet hat, möchte dieser Forderung nicht nachkommen. Hierzu will sie den intern bereits anerkannten Missbrauch vor Gericht abstreiten und »Einrede auf Verjährung« erheben. Für David Farago, Leiter der Aktionsgruppe »11. Gebot«, ist dies eine »Ungeheuerlichkeit ersten Ranges«: »Man muss sich das vor Augen führen: Eine Kirche, die für vorgebliche Enteignungen vor mehr als 200 Jahren Jahr für Jahr Hunderte Millionen vom deutschen Staat kassiert, weigert sich, Schmerzensgeld für Taten zu zahlen, die in ihrem Verantwortungsbereich vor gerade einmal 40 Jahren passiert sind! Hier sind wirklich alle Dimensionen verrutscht, zumal es ja vor allem an der kirchlichen Vertuschungstaktik gelegen hat, dass die Betroffenen erst so spät entschädigt werden können.«

 
Entschädigung statt Almosen

Auch aus juristischer Sicht erscheint es fraglich, ob sich die Kirche so einfach aus der Verantwortung stehlen kann. Denn als »Körperschaft des öffentlichen Rechts« gilt für sie eine verschärfte »Amtshaftung«. Daher hat Jörg Scheinfeld, Strafrechtsprofessor in Mainz und Direktor des »Instituts für Weltanschauungsrecht« (ifw), das den Fall von Jens Windel begleitet, die Kirche in einem gemeinsamen Aufsatz mit Stephan Rixen, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Köln und Mitglied der »Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs«, dazu aufgerufen, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten und sich stattdessen mit den Betroffenen außergerichtlich auf angemessene Entschädigungszahlungen zu einigen. In ihrem Gastbeitrag für das Rechtsmagazin »Legal Tribune Online« schreiben die beiden Rechtsprofessoren dazu:

»Es ist bezeichnend, dass die kirchlichen Leistungen für Betroffene, rechtlich betrachtet, freiwillige Leistungen sind: Almosen. Die Kirche behandelt die Betroffenen wie Bittsteller und verweigert ihnen so die Anerkennung als Rechtspersonen. Was die Betroffenen erlitten haben, wird zum bedauerlichen Widerfahrnis umdeklariert, statt zuzugeben, um was es geht: Um ein gigantisches Organisationsverschulden, in dem Sorgfalts- und Aufsichtspflichten bis über die Grenze der bewussten Rechtsblindheit hinaus missachtet wurden. (…) Die Bischöfe täten gut daran, sich gegenüber den zu entschädigenden Betroffenen, die teils unvorstellbare Gewalt erlitten haben, endlich so zu verhalten, dass weiteres Leid vermieden wird, also so, wie es nicht nur Anstand und Fairness gebieten, sondern wie es neben dem staatlichen Recht ihr eigenes Kirchenrecht fordert: Bemüht Euch um friedlich-gütliche Streitbeilegung und schließt Vergleiche! Vergleiche anerkennen die Schuld der Kirche und vermeiden die vielfältigen Belastungen für Betroffene, die mit einem streitigen Verfahren verbunden sind.«

 
Der »Hängemattenbischof« in Hildesheim

Im Fall von Jens Windel wird sich zeigen, ob die milliardenschwere katholische Kirche in Deutschland ihr »Organisationsverschulden« eingesteht oder ob sie weiterhin versucht, sich mit juristischen Schleichwegen aus der Affäre zu ziehen. »Gibt es dem Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer wirklich nicht zu denken, dass Kardinal Wölki für das Erzbistum Köln in zwei Gerichtsverfahren auf die Einrede der Verjährung verzichtet hat?!«, fragt ifw-Leiter Jörg Scheinfeld. »Offensichtlich legt es Heiner Wilmer darauf an, Rainer Woelki in seiner Rolle als ›unbeliebtester Bischof Deutschlands‹ abzulösen!«, ergänzt David Farago vom »11. Gebot«. Grund genug für sein Aktionsteam, um mit dem »Hängemattenbischof« vom 6. bis 8. November an verschiedenen Orten in Hildesheim (6.11. Domhof, 7.11. Marktplatz, 8.11. Landgericht) gegen die Vorgänge im Bistum Hildesheim zu demonstrieren.

Bildergalerie (© David Farago/Aktionsteam 11. Gebot)

Der »Hängemattenbischof«, der von dem Karikaturisten und Wagenbauer Jacques Tilly ursprünglich für den Düsseldorfer Rosenmontagszug geschaffen wurde, kam erstmals 2021 im Rahmen des Protests gegen den kirchlichen Missbrauchsskandal zum Einsatz. Die Aktion auf der Kölner Domplatte sorgte damals weltweit für Schlagzeilen. In Hildesheim soll die Skulptur, die bereits vor den Toren des Vatikans aufgetaucht ist, nun nicht nur auf den Fall von Jens Windel aufmerksam machen, sondern auch auf die Anfang Oktober gestartete Petition »Keine Einrede auf Verjährung!«, die schon von mehr als 65.000 Menschen unterzeichnet wurde. Initiiert wurde die Petition von der Betroffenenorganisation »Eckiger Tisch« für das bundesweite »Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen«, das neben der Giordano-Bruno-Stiftung und dem »11. Gebot« zu den Organisatoren der Protestaktionen in Hildesheim gehört.

Das »Aktionsbündnis Betroffeneninitiativen« bittet um weitere Unterstützung und Verbreitung ihrer aktuellen Petition, damit die deutschen Bischöfe erkennen, dass sie ihrer Kirche noch mehr schaden würden, falls sie sich weiterhin auf die »Einrede auf Verjährung« berufen. Vertreter*innen der Medien, die über den Prozess und die Proteste in Hildesheim berichten wollen, finden unter diesem Link die entsprechenden Kontaktinformationen. Neu: Ab sofort kann man das Aktionsteam »11. Gebot« über die Plattform »betterplace« gezielt mit Spenden unterstützen! (Spenden können von der Steuer abgesetzt werden, die Spendenbescheinigung erfolgt in diesem Fall über »betterplace«.)