Newsletter vom 7.11.2025
- Die Mehrheit der Deutschen ist nicht mehr religiös: Eine aktuelle fowid-Studie verdeutlicht, wie weit die Säkularisierung vorangeschritten ist
- »Philo.live!« 2025: Prominent besetztes Philosophie-Festival vom 14. bis 16. November in Berlin
- Der Fall Egenberger: Ein Pyrrhussieg der Kirchen?
- Kurz notiert: Säkulare Stimmen in den Medien / Suttner-Studienwerk schreibt Assistenzstelle aus
- Die nächsten Termine
Die Mehrheit der Deutschen ist nicht mehr religiös
Eine aktuelle fowid-Studie verdeutlicht, wie weit die Säkularisierung vorangeschritten ist
Das Meinungsforschungsinstitut »Mentefactum« hat im Auftrag von fowid in der ersten Oktoberhälfte eine repräsentative Bevölkerungsumfrage durchgeführt, die nun auf der Website der Forschungsgruppe ausgewertet wurde. »Die Ergebnisse der Umfrage verdeutlichen«, so die fowid-Autoren, »wie weit der Prozess der Säkularisierung in Deutschland vorangeschritten ist.« Dies zeige sich sowohl mit Blick auf die weltanschaulichen Haltungen der Bürgerinnen und Bürger als auch hinsichtlich ihrer Einstellungen zur Neutralität des Staates und seinem Verhältnis zu den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.
So stimmten 76 Prozent »voll und ganz« (47 %) oder »eher« (29 %) der Überzeugung zu, dass sich ethisch-moralische Entscheidungen »auf Vernunft und Mitgefühl« stützen sollten, »nicht auf göttliche Gebote«. Nur 12 Prozent waren mit dieser Aussage »eher nicht« und 5 Prozent »überhaupt nicht« einverstanden, während 7 Prozent dazu keine Angaben machten. »Dass 76 Prozent der Befragten einer Auffassung zuneigen, die eher im säkularen Humanismus als bei den traditionellen Religionsgemeinschaften verortet werden kann«, sei ein »bemerkenswerter Befund«, kommentiert die Forschungsgruppe. Erwartungsgemäß finde man für diese Haltung die größte Zustimmung bei den Konfessionsfreien (85,7%), die Zustimmungsraten lägen aber auch bei den nominellen Katholiken (66,2%) und insbesondere bei den Protestanten (72,3%) erstaunlich hoch. Der allgemeine Säkularisierungstrend sei »offenkundig auch innerhalb der Kirchen angekommen«.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Zustimmung bzw. Ablehnung einer »naturalistischen Weltauffassung«: Mit der Aussage »Ich meine, dass die Welt nach naturwissenschaftlichen Gesetzen funktioniert. Übernatürliche Kräfte wie etwa Götter oder Teufel haben auf unsere Welt keinen Einfluss« waren 39 Prozent der Befragten »voll und ganz« und 25 Prozent »eher« einverstanden. Nur 16 Prozent sprachen sich »eher« und 10 Prozent »voll und ganz« für eine Ablehnung des Naturalismus aus. Auch dieser Befund sei bemerkenswert, heißt es aus der Forschungsgruppe: »Dass nur 26 Prozent übernatürlichen Kräften eine Wirkung in der Welt zuschreiben, während 64 Prozent dem naturalistischen Weltbild zustimmen, deutet an, dass im Schatten der Säkularisierung auch die Grundprinzipien des wissenschaftlichen Denkens an Bedeutung hinzugewonnen haben.« Erwartungsgemäß sei auch hier die Zustimmungsrate in der Gruppe der Konfessionsfreien mit 77 Prozent am höchsten, gefolgt von den Protestanten mit 59 Prozent und den Katholiken mit 52 Prozent.
Die überwältigende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger spricht sich für einen »weltanschaulich neutralen Staat« aus, in dem keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft privilegiert oder diskriminiert wird. So vertreten 84 Prozent der Befragten die Auffassung, Politikerinnen und Politiker sollten »ihre Entscheidungen nicht auf ihre persönlichen religiösen Überzeugungen stützen«, sondern sich »weltanschaulich neutral entscheiden«. 82 Prozent votieren dafür, dass »staatliche Einrichtungen wie Gerichte, Schulen oder Polizei grundsätzlich weltanschaulich und religiös neutral« sein sollten. 75 Prozent meinen, dass Religionsgemeinschaften bei der Besetzung von Rundfunkräten »keine bevorzugte Stellung erhalten« sollten. 65 Prozent sprechen sich gegen das islamische Kopftuch von Lehrerinnen in öffentlichen Schulen aus und 61 Prozent lehnen es ab, dass die katholische Kirche weiterhin medizinisch indizierte Schwangerschaftsabbrüche in ihren Kliniken verbieten darf.
Den vollständigen Text der Pressemitteilung (u.a. mit einer Bildergalerie zur erfolgreichen fowid-Tagung »Auf dem Weg in die säkulare Gesellschaft«) finden Sie auf der gbs-Website...
»Philo.live!« 2025
Prominent besetztes Philosophie-Festival vom 14. bis 16. November in Berlin
»Philo.live!« geht in die zweite Runde: Nach der erfolgreichen Premiere im vergangenen Jahr lädt die zweite »Philo.live!« erneut zum gemeinsamen Denken ein. In der Bundeshauptstadt diskutieren prägende Stimmen aus Philosophie, Wissenschaft, Politik und Kultur die drängenden Fragen unserer Zeit.
Den Festivalauftakt am 14.11. gestalten die Schriftstellerin Juli Zeh und der Soziologe Andreas Reckwitz – erstmals im großen RBB-Sendesaal – mit dem Thema: »Vom Umgang mit Verlusten – und wie wir die Zukunft zurückgewinnen« (19 Uhr). Am 15. und 16. November bespielt Philo.live! mit acht weiteren Veranstaltungen erneut das Festivalgelände des Kulturquartiers »silent green«. In den separat buchbaren Veranstaltungen sind u.a. zu Gast: Peter Sloterdijk, Sönke Neitzel, Barbara Bleisch, Daniel Cohn-Bendit, Ricarda Lang, Bernhard Schlink, Sahra Wagenknecht, Julia Reuschenbach und Michel Friedman.
Ausgerichtet wird das Festival vom »Philosophie Magazin« und der »Phil Cologne« u.a. mit Unterstützung der Giordano-Bruno-Stiftung. Weitere Informationen zum Programm und zur Anmeldung gibt es auf der Website von »Philo.live!«.
Der Fall Egenberger
Ein Pyrrhussieg der Kirchen?
Nach sechs Jahren hat das Bundesverfassungsgericht Ende Oktober über die Verfassungsbeschwerde des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung im Fall »Egenberger« entschieden. Ausgangspunkt des Verfahrens war die Nichtberücksichtigung der Sozialpädagogin Vera Egenberger bei der Besetzung einer Forschungsstelle zum Thema »Antirassismus« aufgrund ihrer Konfessionslosigkeit. Egenberger klagte und gewann zunächst vor dem Arbeitsgericht Berlin (2013), verlor dann in der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg (2014) und siegte schließlich nach einer Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (April 2018) vor dem Bundesarbeitsgericht (Oktober 2018). Gegen diese BAG-Entscheidung, die das kirchliche Arbeitsrecht den europäischen Antidiskriminierungsbestimmungen unterwarf, wandte sich die Diakonie schließlich 2019 mit einer Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht.
In dem BVerfG-Verfahren wurde Vera Egenberger vom »Institut für Weltanschauungsrecht« (ifw) unterstützt, u.a. durch ein unions- und verfassungsrechtliches Gutachten von ifw-Beirat Prof. Dr. Bodo Pieroth sowie ein weiteres theologisches und rechtshistorisches Gutachten von ifw-Beirat Prof. Dr. Hartmut Kreß. Das Bundesverfassungsgericht gab der Verfassungsbeschwerde der Diakonie zwar nun statt (Beschl. v. 29.09.2025, Az. 2 BvR 934/19), allerdings sei das Urteil für die Kirchen, so ifw-Beirat Prof. Dr. Bodo Pieroth, »keineswegs ein Erfolg auf ganzer Linie«. Diese Einschätzung teilt auch ifw-Beirätin Dr. Ulrike Brune (ehemalige Richterin am Bundesarbeitsgericht): »Auf den ersten Blick sieht es nach einem Erfolg für die Kirche aus. Bei näherem Zusehen ist es ein Eigentor für die Kirchen: Anders als bisher müssen sie nun Gründe dafür angeben, wenn sie besondere Loyalitätsforderungen an Arbeitnehmer stellen. Religionszugehörigkeit dürfen sie nur verlangen, wenn die betreffende Arbeit es für den religiösen Sendungsauftrag erfordert. Und das können die staatlichen Gerichte jetzt im Einzelnen überprüfen. Das hätte das BVerfG vor ein paar Jahren noch als Aufruhr und Ketzerei betrachtet.«
Die stellvertretende Direktorin des ifw, Dr. Jessica Hamed, sprach in diesem Zusammenhang daher von einem »Pyrrhussieg der Kirche«, siehe hierzu auch die gehaltvolle Berichterstattung der »Legal Tribune Online« (Teil 1, Teil 2) sowie den ausführlichen Kommentar von Hartmut Kreß, der die Zwiespältigkeit der BVerfG-Entscheidung betont.
Kurz notiert
Säkulare Stimmen in den Medien: Rund um die fowid-Tagung »Auf dem Weg in die säkulare Gesellschaft" am 25. Oktober (siehe oben) waren besonders viele säkulare Stimmen in den Medien zu hören, allein im »Deutschlandfunk« folgten gleich drei hörenswerte Beiträge aufeinander: Am 25. Oktober wurde fowid-Leiter Carsten Frerk zum »Megatrend Säkularisierung« interviewt, am 27. Oktober sprach Jessica Hamed (ifw) einen Kommentar zum Thema »Sozialer Frieden braucht eine respektvolle Streitkultur« und am 28. Oktober klärte Philipp Möller (Vorsitzender des »Zentralrats der Konfessionsfreien«) die Hörerinnen und Hörer darüber auf, welche Folgen die Säkularisierung auf die deutsche Feiertagskultur haben sollte. Hörenswerte Beiträge gab es auch wieder in den säkularen Podcasts: Im »Sinnerfüllt«-Podcast von und mit Susanne Bell sprach gbs-Beirat Jacques Tilly über seine Arbeit als politischer Karnevalswagenbauer und die Abhängigkeit der Demokratie von einer funktionierenden Streitkultur, während Helmut Fink im »Freigeist«-Podcast mit Michael Schmidt-Salomon über das Erscheinen seines Buchs »Manifest des evolutionären Humanismus« vor 20 Jahren und die seither stattgefundenen Veränderungen in der Gesellschaft sowie in der gbs diskutierte.
Suttner-Studienwerk schreibt Assistenzstelle aus: Das Bertha von Suttner-Studienwerk, das 2021 vom Humanistischen Verband Deutschlands, der Giordano-Bruno-Stiftung, der Humanistischen Akademie Deutschland und der Bundesarbeitsgemeinschaft humanistischer Studierender gegründet wurde, hat eine Asistenzstelle ausgeschrieben. Wer sich für einen spannenden Job in dem humanistischen Studienwerk interessiert (20h/Woche in Teilzeit oder als Werkstudent*in), kann sich auf dieser Website online bewerben!
Die nächsten Termine
Die Termine der nächsten Wochen gibt es, wie immer, im gbs-Terminkalender.
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