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Stoiber attackiert Janosch

Der berühmte Kinderbuchautor und gbs-Beirat sieht sich jedoch ganz gerne als "falschen Propheten"

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gbs-art-collection: Janosch

Der amtierende bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber hat den wohl bekanntesten deutschen Kinderbuchautor Janosch ("Oh wie schön ist Panama") als "falschen Propheten" bezeichnet. Man dürfe nicht zulassen, dass Janosch mit seinen antireligiösen Zeichnungen und Kommentaren "Zugang zu unseren Kinderzimmern erlange", erklärte der CSU-Politiker in Berlin. Stattdessen müssten Kirche, Gesellschaft und Politik "an einem Strang ziehen" und den Kindern "Orientierung, Werte und Religion" vermitteln.

Anlass der scharfen Attacke auf den beliebten Zeichner und Autor war offensichtlich der Abdruck einer Janosch-Zeichnung im Magazin "Der Spiegel". Das Bild mit dem Titel "Taufe", dessen Original momentan in der Trierer Ausstellung "Konstantin: Kunst & Provokation" zu sehen ist, zeigt einen Geistlichen, der einem Säugling über dem Taufbecken mit einem Hammer das Kreuz in den Bauchnabel treibt. In dem dazugehörigen Artikel wurde Janosch als Beiratsmitglied der religionskritischen Giordano Bruno Stiftung auch kurz zitiert: "Katholisch geboren worden zu sein, ist der größte Unfall meines Lebens."

  
"Falsche Propheten schreiben sich so, Herr Streusel! Mit f wie Fogel..."

Den Angriff Stoibers empfinde er "als besonders ehrenvoll", erklärte Janosch: "Ich habe mich unglaublich gefreut, von einem so enorm ‚schwergewichtlichen' Politiker wie Herrn Sträuber überhaupt wahrgenommen und damit wohl als bedeutend anerkannt zu werden." Janosch versicherte, nach dieser "herzlichen ministerpräsidialen Ermutigung" noch engagierter in religiöser Richtung weiter zu arbeiten. In einem Brief an den Ministerpräsidenten, den Janosch allerdings nicht abschickte, da er "leider nicht die passende Marke zur Hand hatte", heißt es:

"Grüß Gott, Herr Stoiber! Damit Sie wissen, wogegen Sie kämpfen, sollten Sie einmal die Religionsunterrichtsbücher in Ihrem Land lesen. Dort werden Sie nämlich eine Menge meiner hochmoralischen Ketzergeschichten finden. Wahrlich nicht ich habe sie dort untergebracht, sondern Ihre Leute. Wie konnten nur so viele ‚falsche Propheten' (ich bin nicht der Einzige!) in bayrische Schulbücher gelangen?

Mit saufröhlichen Ketzergrüßen,
Ihr
Janosch (Profet - falsche Propheten schreiben sich so, Herr Streusel! Mit f wie Fogel...)"

  
In welchem Jahrhundert lebt Edmund Stoiber?

Michael Schmidt-Salomon, Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung, meinte zu dem Vorfall, Stoiber solle sich doch einmal vergewissern, in welchem Jahrhundert er lebe. Im frühen 19. Jahrhundert hätte man solche Auslassungen vielleicht noch hinnehmen können. Mittlerweile sei jedoch die Trennung von Staat und Kirche verfassungsrechtlich garantiert und die Katholiken auf dem besten Wege, eine gesellschaftliche Minderheit zu werden: "Die Zeiten, in denen Politik und Kirche dank einer Vermählung von Thron und Altar vorgeben konnten, was die Menschen zu glauben haben, ist endgültig vorbei - und das ist auch gut so!"

Schmidt-Salomon legte Wert darauf, dass Janosch als religionskritischer Kinderbuchautor keineswegs ein Einzelfall sei. "Wenn Edmund Stoiber tatsächlich Janosch aufgrund seiner religionskritischen Äußerungen aus den Kinderzimmern verbannen möchte, so müsste er das Gleiche auch im Falle von Max Kruse ("Urmel aus dem Eis"), Erich Kästner ("Emil und die Detektive"), Mark Twain ("Tom Sawyer und Huckleberry Finn") oder Wilhelm Busch ("Max und Moritz") fordern, um nur einige wenige Beispiele zu nennen." Ein Großteil der bedeutenden Kinderbuchautoren sei seit jeher dezidiert religionskritisch gewesen. Grund: "Wer Kinder mag und für sie schreibt, der kann sich mit den autoritären Erziehungsmustern der Religionen kaum anfreunden!"

Christen hätten, so Schmidt-Salomon, in ihren Institutionen (sehr häufig auch in den Familien) über Jahrhunderte hinweg nach der biblischen Maxime "Wer sein Kind liebt, der züchtigt es!" erzogen. Besonders Heimkinder hätten bis in die 1980er Jahre hinein, "Schläge im Namen des Herrn", systematische Demütigung, Gewalt, Missbrauch, Erniedrigung, Ausbeutung erfahren müssen. "Bevor die Kirchen diese schlimmen pädagogischen Verbrechen nicht öffentlich bereut und entsprechende Entschädigungszahlungen geleistet haben, kann man sie in pädagogischen Fragestellungen nicht mehr ernst nehmen!", sagte Schmidt-Salomon.

  
"Aufklärungsarbeit muss schon im Kindergarten ansetzen"

Der gbs-Sprecher kündigte in diesem Zusammenhang eine "religionskritische Kinderoffensive" der Stiftung im Herbst 2007 an. "Die Aufklärungsarbeit muss schon im Kindergarten ansetzen!", sagte Schmidt-Salomon. "In der Regel lassen sich die Wirkungen frühkindlicher, religiöser Indoktrination im Erwachsenenalter kaum noch aufheben." Im September werde ein von der Stiftung gefördertes buntes Bilderbuch mit dem Titel: "Wo bitte geht's zu Gott?, fragte das kleine Ferkel" auf den Markt kommen. "Ich freue mich sehr auf das Erscheinen des Buches, denn die von Helge Nyncke wunderbar illustrierte Geschichte ist als Gegengift zu religiöser Indoktrination nicht nur ‚pädagogisch wertvoll', sondern vor allem ein ‚Heidenspaß' für Groß und Klein!", meinte Schmidt-Salomon. Ob Edmund Stoiber, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses "frechen, lästerlichen Kinderbuchs" wohl schon Polit-Renter ist, dies auch so sehen wird, darf mit einiger Sicherheit bezweifelt werden.

Nachtrag (März 2021): Im Juni 2007 konnte noch niemand wissen, dass das in der obigen Pressemitteilung angekündigte Kinderbuch "Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" einen noch heftigeren Skandal auslösen würde als Janoschs Zeichnung für den SPIEGEL (zum Rummel um das kleine Ferkel entstand 10 Jahre später ein eigenes Buch). An der Entstehung des Ferkel-Buchs war Janosch keineswegs unbeteiligt. Denn Janosch hatte 2007 vorgeschlagen, zusammen mit gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon ein "antiklerikales Tigerentenbuch" zu produzieren. Nachdem Schmidt-Salomon die Geschichte (die deutlich an "Oh, wie schön ist Panama" angelehnt ist) geschrieben hatte, rückte Janosch allerdings von dem Vorhaben ab, da er sich auf die katholische Kirche konzentrieren wollte, während Schmidt-Salomon alle "abrahamitischen Religionen" ins Visier genommen hatte. Aus diesem Grund wurden aus den ursprünglichen Helden der Geschichte "Tiger und Bär" nachträglich "Ferkel und Igel" - und die Zeichnungen zum Buch schuf letztlich Helge Nyncke statt Janosch. Schmidt-Salomon, der über diese Hintergründe auf seiner Facebookseite anlässlich des 90. Geburtstag von Janosch (11.3.2021) berichtete, schrieb dazu: "Fakt ist, dass das 'kleine Ferkel' ohne Janosch gar nicht erst das Licht der Welt erblickt hätte, wodurch mir viel Ärger (allerdings auch eine Menge 'Heidenspaß') erspart geblieben wäre..." Und natürlich übermittelte er dem Jubilar die allerbesten Wünsche: "'Saufröhliche Ketzergrüße' an Janosch, den 'falschen Propheten' (wie ihn Edmund Stoiber nannte), zum 90. Geburtstag! Bleib bitte weiterhin so entspannt ('Wer fast nichts braucht, hat alles')!"