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Der Ton wird rauer

Warum die Kritiker der gbs immer häufiger zu Diffamierungsstrategien greifen

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Karikatur: Jacques Tilly

Viel Feind‘, viel Ehr‘, heißt es. Tatsächlich lässt sich der Erfolg einer neuen sozialen Organisation daran bemessen, zu welchen Diffamierungsstrategien sich ihre Kritiker genötigt sehen. Insofern sind die massiven Angriffe, denen die Giordano-Bruno-Stiftung derzeit ausgesetzt ist, auch als Zeichen dafür zu betrachten, dass die Positionen, die die Stiftung vertritt, mehr und mehr Zustimmung in der Bevölkerung finden. Ein Kommentar von Michael Schmidt-Salomon.

 

Im letzten Jahrzehnt hat in vielen Ländern der Welt ein historisch einzigartiger Säkularisierungsschub stattgefunden, der allmählich auch auf politischer Ebene Wirkungen zeigt. So haben amerikanische Sozialforscher herausgefunden, dass  Barack Obama seine Wiederwahl zum Präsidenten nicht zuletzt den religionsfreien Menschen (der am schnellsten wachsenden weltanschaulichen Gruppe in den USA – jeder vierte Obama-Wähler zählt dazu!) verdankt. Ausgehend von ihren Analysen prognostizieren Wahlforscher für die nähere Zukunft, dass die amerikanischen Säkularisten auf die Politik der Demokraten einen ähnlich großen Einfluss haben werden wie die Evangelikalen auf die Politik der Republikaner.

Noch stärker als in den USA fiel der Säkularisierungsschub in Deutschland aus. Eine stabile Mehrheit der deutschen Bevölkerung führt heute ein Leben frei von religiösen Dogmen und bezieht in ethischen Fragestellungen Positionen, die deutlich von traditionellen Glaubensvorstellungen abweichen. Dies wurde u.a. am vergangenen Montag im Rahmen der „hart aber fair“-Sendung zur Sterbehilfe mit gbs- und hpd-Fördermitglied Dr. Uwe-Christian Arnold wieder deutlich, sprachen sich doch über 90 Prozent der Website-Besucher für das Recht des Menschen auf ein selbstbestimmtes Sterben aus. Kein Wunder, dass es Bruder Paulus Terwitte, der als Vertreter der Kirche zur Sendung eingeladen war, angesichts des verlorenen Postens, auf dem er sich befand („Das Leiden gehört zum Leben und Gott bestimmt, wann das Leben endet)“, ein wenig fröstelte.

Mittlerweile spiegelt sich die veränderte Sichtweise der Bevölkerung, die es nicht mehr hinnimmt, dass religiösen Gruppen verfassungswidrige Sonderrechte eingeräumt werden, auch in entsprechenden Gerichtsurteilen wider. In diesem Zusammenhang ist nicht nur das berühmte Beschneidungsurteil des Landgerichts Köln zu erwähnen, sondern auch die am gestrigen Dienstag veröffentlichte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, das das generelle Streikverbot in kirchlichen Unternehmen aufhob – ein wichtiger Schritt im Kampf für die Gewährung von Grundrechten in religiösen Institutionen.

 

Im Fadenkreuz: Die gbs als Akteur des säkularen Wandels

Selbstverständlich sind all diese Veränderungen nicht in erster Linie auf die Aktivitäten der Giordano-Bruno-Stiftung zurückzuführen (wenn überhaupt, hatte die Stiftung nur einen bescheidenen Anteil daran), aber in den Medien und in der Politik wird sie zunehmend als entscheidender Akteur dieses säkularen Wandels wahrgenommen – und entsprechend attackiert. Galt die Stiftung lange Zeit als Institution einer gesellschaftlichen Randgruppe, die man nicht sonderlich ernstnehmen müsse, wird sie nun mehr und mehr stilisiert zur „treibenden Kraft einer säkularen Mehrheit“, die angeblich „in aggressiver Weise die Rechte religiöser Minderheiten beschneiden möchte“.

Besonders deutlich wurde diese neue Argumentationsfigur im Rahmen der Debatte um die medizinisch nicht indizierte Knabenbeschneidung. In einem höchst tendenziösen Pro-Beschneidungsgutachten des American Jewish Committee (kritisch hierzu siehe u.a. die Stellungnahme des Präsidenten des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Dr. med. Wolfram Hartmann), das an sämtliche Bundestagsabgeordneten versandt wurde, wurden insbesondere der gbs "antisemitische Motive" unterstellt – wobei die Autoren offenbar nur zu gerne übersahen, dass die gbs-Kinderrechtskampagne nun gerade von jüdischen (!) Beschneidungskritikern angeregt und unterstützt wurde.

In die gleiche Kerbe schlug Micha Brumlik mit einem Kommentar in der TAZ, der versuchte, die gbs und ihre Kinderrechtskampagne mithilfe vermeintlich antisemitischer Äußerungen Giordano Brunos aus dem 16. Jahrhundert zu diffamieren. Ich habe mich bereits in einem ausführlichen Kommentar mit Brumliks Fehldeutungen auseinandergesetzt. Genutzt hat dies aber offenbar wenig, denn in der heutigen TAZ findet sich ein weiterer Brumlik-Kommentar mit ähnlichem Tenor. Zwar hat er nun, wie ich es ihm anriet, zu einer neueren Bruno-Übersetzung gegriffen, doch seine Argumentation ist ebenso schief wie zuvor:

Noch immer reißt Brumlik Bruno-Dialoge aus dem Kontext, noch immer verfälscht er die Bruno-Rezeption in grotesker Weise, indem er den Eindruck vermittelt, es hätten sich vornehmlich Rechtsextremisten auf Bruno berufen, obgleich Bruno in Wahrheit über Jahrhunderte hinweg eine zentrale Identifikationsfigur linker, liberaler und vor allem auch jüdischer Autoren (Fromm, Bloch, Einstein etc.) war. Nicht ohne Grund identifizierte der von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem mit dem Titel „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnete polnische Literaturnobelpreisträger Czesław Miłosz das Leiden Brunos in seinem berühmten, 1943 im Warschauer Untergrund geschriebenen Gedicht „Campo de‘ Fiori“ mit dem Leiden der jüdischen Menschen seiner Zeit. Diese Bezugnahme wurde und wird weltweit verstanden – nur Micha Brumlik meint, die historischen Tatsachen verdrehen zu müssen, um der gbs größtmöglichen Schaden zuzufügen.

Immerhin: In seinem zweiten TAZ-Kommentar verzichtete Brumlik auf den Vorwurf, die gbs sei antisemitisch und fremdenfeindlich. Vielleicht ist ihm mittlerweile selbst aufgegangen, mit wie vielen jüdischen und proisraelischen Personen und Gruppen die gbs insbesondere im Bereich der Islamkritik zusammenarbeitet und möglicherweise ist ihm auch bewusst geworden, dass es gerade diese Stiftung war, die in Deutschland das Asylrecht für Ex-Muslime erkämpfte und gegen die menschenunwürdigen Bedingungen in Flüchtlingsheimen protestierte.

Übriggeblieben ist von Brumliks Polemik daher nur noch der Vorwurf des „militanten und intoleranten Atheismus“. Brumlik zufolge geht es der Stiftung „weder um Toleranz und Humanität noch um ein respektvolles, aufgeschlossenes und lernbereites Gespräch unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen; auch nicht um einen Dialog, in dem die Gehalte, Reichtümer und Schätze, aber auch Fehler, Verbrechen und Vergehen von Weltanschauungen sensibel, selbstkritisch und respektvoll erörtert werden, sondern um eine weitere ‚Austreibung‘: hier der Religionen aus dem öffentlichen Raum und Diskurs. Giordano Bruno nannte das ‚Spaccio‘. Der von der nach ihm benannten Stiftung vertretene ‚Evolutionäre Humanismus‘ erweist sich am Ende als oberflächliche, naturwissenschaftlich aufgeputzte Schwundstufe einer selbst noch nicht säkularisierten Weltanschauung, die in ihrem Dogmatismus dem religiösen Fundamentalismus der Gegenwart in nichts nachsteht, sondern sein geistiger Bruder ist.“

Eine seltsame Allianz von CSU und TAZ

Starker Tobak! Doch wie begründet Brumlik seine Anschuldigungen? Antwort: Er liefert keinerlei Begründungen, sondern setzt den „Wahrheitsgehalt“ seiner Aussagen einfach als gegeben voraus. Woher nimmt er diese Sicherheit? Allem Anschein nach hat Brumlik die letzte Veröffentlichung der Hanns-Seidel-Stiftung (CSU) gelesen – zumindest wirken seine Anschuldigungen wie 1zu1-Kopien der Anwürfe aus dem kirchenfreundlichen Band „Staat und Kirche im 21. Jahrhundert“. Denn selbstverständlich gilt die Giordano-Bruno-Stiftung auch bei den CSU-Autoren als militant atheistisch, intolerant, oberflächlich, einseitig naturwissenschaftlich orientiert und dogmatisch. Aber immerhin weiß man bei ihnen, wie man das politisch einzuordnen hat. Schließlich ist es das Hauptziel ihrer Veröffentlichung, die ins Rutschen geratenen Kirchenprivilegien (etwa die Möglichkeit, homosexuellen Menschen zu kündigen, Angestellte weltanschaulich zu diskriminieren und Streiks zu verhindern) zu sichern. Das erklärt auch, warum sich die CSU-Kirchenapologeten so sehr bemühen, die deutsche Geschichte zu verfälschen, warum sie von einem "gottlosen Nationalsozialismus" sprechen, obwohl der Atheismus unter den Nazis als Ausdruck einer „jüdisch-bolschewistischen Weltanschauung“ galt, warum sie die katholischen Stimmen zu Hitlers „Ermächtigungsgesetz" und das zum Teil bis heute gültige "Reichskonkordat" ebenso verschweigen wie das Herausschleusen von Nazi-Verbrechern über den Vatikan.

Ich frage mich: Was treibt einen liberalen jüdischen Gelehrten wie Micha Brumlik dazu, die interessensbedingten Anschuldigungen ultrakonservativer Kirchenapologeten ungefragt zu übernehmen? Und was, um alles in der Welt, veranlasst eine links-alternative Zeitung wie die TAZ dazu, solch haltlose Vorwürfe gleich zweimal hintereinander zu publizieren? Sind die Kirchenlobbyisten im grün-alternativen Spektrum schon so stark verankert, dass es mittlerweile zum guten Ton gehört, auf säkulare Organisationen einzuschlagen? Wenn ja, werden die Grünen bei der nächsten Wahl wohl ihr blaues Wunder erleben. Denn wie die SPD, die Linken, die FDP und die Piraten sind auch die Bündnis-Grünen auf säkulare Stimmen angewiesen – und zwar weit mehr noch als die Demokraten in den USA.

Was die inhaltliche Ebene der Kritik betrifft, hätte eigentlich schon die Lektüre des kurzen FAQ-Textes „Zehn Fragen – Zehn Antworten“  genügen müssen, um zu erkennen, wie absurd all die Anschuldigungen sind, die von dieser merkwürdigen Allianz von CSU und TAZ erhoben werden: Selbstverständlich ist die gbs nicht „militant“, sie ist nicht einmal „atheistisch“. Der evolutionäre Humanismus der Stiftung stützt sich auch keineswegs allein auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse, sondern auf eine Kombination von Wissenschaft, Philosophie und Kunst (was auch die interdisziplinäre Zusammensetzung des gbs-Beirats erklärt). Selbstverständlich treten wir entschieden für „Toleranz und Humanität“ ein, aber eben nicht für grenzenlose (repressive) Toleranz gegenüber der Inhumanität. Die Religionen begreifen wir keineswegs als „Feinde“, die man rigoros bekämpfen müsste, sondern vielmehr als „kulturelle Schatzkammern der Menschheit“, die viel Vernünftiges und Menschenfreundliches, aber eben auch Unvernünftiges und Menschenfeindliches enthalten, wobei unsere Aufgabe heute darin besteht, das eine vom anderen zu trennen. Und „dogmatisch“ ist der evolutionäre Humanismus nun ganz sicher nicht, ist er doch eine Weltanschauung „unter Vorbehalt“, ohne Dogmen, Propheten und heilige Schriften. Ja, ich möchte sogar behaupten, dass der evolutionäre Humanismus die wohl erste Weltanschauung ist, die sich nach dem "Prinzip der kritischen Prüfung" (siehe Hans Alberts „Traktat über kritische Vernunft“) ernsthaft dem Anspruch stellt, sich selbst aufzuheben, wenn sich ihre zentralen Prämissen als falsch erweisen sollten. Weniger Dogmatismus ist kaum möglich! All dies hätte Micha Brumlik, hätte die TAZ wissen können, wissen müssen.

Bedauerlicherweise müssen wir davon ausgehen, dass die gbs in Zukunft wohl noch häufiger auf solch unseriöse Weise attackiert wird, aber das wird uns nicht davon abhalten, weiterhin Klartext zu reden. Eben deshalb haben wir auch Giordano Bruno (neben vielem anderen) als Namensgeber der Stiftung gewählt. Zwar sind wir als humanistische Stiftung überzeugt, dass es besser ist, falsche Ideen sterben zu lassen, bevor Menschen für Ideen sterben müssen, aber das bedeutet nicht, dass man sofort einknicken sollte, wenn der Wind in der weltanschaulichen Debatte etwas heftiger weht. Das Projekt der Aufklärung braucht eben nicht nur kluge Köpfe, sondern auch den Mut zum aufrechten Gang...