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30 Jahre Great Ape Project

Am 7. Juni 1993 erschien die "Deklaration über die Großen Menschenaffen"

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Gorilla-Senior Massa (1971-2020) wurde Opfer der großen Brandkatastrophe im Krefelder Zoo - das schreckliche Ende eines schrecklichen Lebens (Foto: GAP)

Der 7. Juni 1993 gilt offiziell als Gründungsdatum des internationalen Great Ape Project. An diesem Tag – vor genau dreißig Jahren – erschien das von Peter Singer und Paola Cavalieri herausgegebene Grundlagenwerk "Equality beyond humanity" (deutsch: "Menschenrechte für Menschenaffen", 1994), in dem sie ihre berühmt gewordene "Deklaration über die Großen Menschenaffen" vorstellten. Ein Beitrag von gbs-Beirat Colin Goldner (Koordinator des Great Ape Project Deutschland).

Der Forderung, den Großen Menschenaffen bestimmte Grundrechte zu verschaffen, die bislang ausschließlich dem Menschen vorbehalten sind, schlossen sich namhafte Wissenschaftler*innen aus aller Welt an, darunter Marc Bekoff, Richard Ryder, Jane Goodall oder der spätere gbs-Preisträger Richard Dawkins. Die tradierte Ungleichbehandlung von Menschen und Großen Menschenaffen sei im Lichte wissenschaftlicher Erkenntnis nicht länger haltbar - die Erbgutunterschied etwa zwischen Schimpansen und Menschen bewegen sich je nach Meßmethode im minimalen Prozent- oder gar nur im Promillebereich - und damit moralisch zu verwerfen. Letztlich gebe es kein vernünftiges Argument, den Großen Menschenaffen solche Grundrechte zu verweigern.

"Deklaration über die Großen Menschenaffen"
 

Wir fordern, dass die Gemeinschaft der Gleichen so erweitert wird, dass sie alle Großen Menschenaffen miteinschließt: Menschen, Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans. Die Gemeinschaft der Gleichen ist die moralische Gemeinschaft, innerhalb derer wir bestimmte moralische Grundsätze oder Rechte anerkennen, die unsere Beziehungen untereinander regeln und die gerichtlich einklagbar sind. Zu diesen Grundsätzen oder Rechten gehören die folgenden:
Das Recht auf Leben: Das Leben der Mitglieder der Gemeinschaft der Gleichen ist zu schützen. Mitglieder der Gemeinschaft der Gleichen dürfen nicht getötet werden, außer in streng festgelegten Situationen wie zum Beispiel in Notwehr.
Der Schutz der individuellen Freiheit: Mitglieder der Gemeinschaft der Gleichen dürfen nicht willkürlich ihrer Freiheit beraubt werden; falls sie ohne vorheriges ordentliches Gerichtsverfahren eingesperrt sein sollten, haben sie das Recht auf sofortige Freilassung. Die Inhaftierung derjenigen, die keines Verbrechens überführt oder nicht strafmündig sind, ist nur erlaubt, wenn erwiesen werden kann, dass es zu ihrem eigenen Wohl ist oder notwendig wird, um die Allgemeinheit vor einem Mitglied der Gemeinschaft zu schützen, welches in Freiheit eindeutig eine Gefahr für andere darstellen würde. In solchen Fällen haben die Mitglieder der Gemeinschaft der Gleichen das Recht, entweder direkt oder, falls ihnen die notwendigen Fähigkeiten fehlen, durch einen Rechtsbeistand ein Gericht anzurufen.
Das Verbot der Folter: Einem Mitglied der Gemeinschaft der Gleichen entweder böswillig oder für einen angeblichen Nutzen anderer wissentlich ernsthaften Schmerz zuzufügen, gilt als Folter und ist unrecht.

 
Überwindung des Speziesismus

Die Forderung nach elementarer Gleichstellung der Großen Menschenaffen setzt einen menschheitsgeschichtlichen Entwicklungsverlauf fort: Anfangs bezogen sich ethische Empfindungen fast ausschließlich auf die eigene Sippe, danach auf gesellschaftliche Teilgruppen, später auf sämtliche Mitglieder einer Gesellschaft und schließlich, mit der UN-Menschenrechtserklärung, auf alle Menschen. Der historische Moment sei gekommen, so die Begründer des Great Ape Project, um nach Nationalismus, Rassismus, Ethnozentrismus und Sexismus auch die Schranke des Speziesismus zu überwinden, der die Diskriminierung von Lebewesen allein aufgrund ihrer Artzugehörigkeit rechtfertigt. Wie im Falle "unmündiger" Menschen, die nicht für sich selbst sprechen und ihre Rechte nicht selbst zu formulieren in der Lage seien, sollten Rechtsansprüche von Menschenaffen durch eigens dazu zu berufende Sachwalter vertreten werden können.

Bezugnehmend auf die Forderungen des Great Ape Project stellte Neuseeland 1999 per Gesetz die Großen Menschenaffen unter besonderen Rechtsschutz, gefolgt wenig später von der Inselgruppe der Balearen, die als autonome Gebietskörperschaft Spaniens einen noch weiter gefassten Rechtsschutz verfügten.

 
Vorwurf der Blasphemie

Nach diesen ersten Erfolgen aber verlor das Great Ape Project im Jahre 2008 fast schlagartig sein bis dahin aufgebautes Momentum. Der Grund dafür lag in der frustrierenden Entwicklung, die das Projekt in Spanien genommen hatte: eine parlamentarische Initiative mit dem Ziel, den besonderen Status der Großen Menschenaffen für das ganze Land legislativ anzuerkennen, war unmittelbar vor ihrem Durchbruch noch auf ganzer Linie gescheitert. Die spanische Regierung, die vom Parlament aufgefordert worden war, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen, war letztlich vor der katholischen Kirche des Landes eingeknickt, die in einer beispiellosen Hetzkampagne dagegen zu Felde gezogen war. Die Rede war von einer "Rebellion gegen die Wurzeln Europas, gegen die christliche Anthropologie, gegen Vernunft und Natur", in einem Wort: Von schierer Blasphemie. Die spanischen Medien übernahmen flächendeckend die Position des Klerus: die mit so großen Hoffnungen für die Affen verbundene Sache war vom Tisch.

Auch im deutschsprachigen Raum zählte die katholische Kirche seit je zu den erbittertsten Gegnern des Great Ape Project: 2003 etwa erschien im kircheneigenen Bonifatius-Verlag eine flammende Theologenschrift, in der unter Verweis auf die Gottebenbildlichkeit des Menschen eine Einbeziehung von Nicht-Menschen in die Gemeinschaft der Gleichen als gotteslästerlich gebrandmarkt und kategorisch ausgeschlossen wurde.

GAP-Neustart und Grundgesetzinitiative

Nachdem das Great Ape Project mehrere Jahre ohne greifbares Ergebnis vor sich hingedümpelt war, ergriff die Giordano Bruno-Stiftung 2011 die Initiative. Mit Verleihung ihres Ethikpreises an Peter Singer und Paola Cavalieri verschaffte sie dem Projekt erneute weitreichende Publizität, gefolgt von einer eigenen Grundgesetzinitiative mit dem Ziel, die vom Great Ape Project geforderten Grundrechte für Große Menschenaffen durch eine Ergänzung von Artikel 20a in die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland zu implementieren: "Das Recht der Großen Menschenaffen auf persönliche Freiheit, auf Leben und körperliche Unversehrtheit wird geschützt." Der Ende April 2014 beim Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages eingereichte Antrag wurde Anfang Juli 2015 - erwartungsgemäß - abgelehnt. Desungeachtet vermochte die gbs-Initiative zur Wiederbelebung des Great Ape Project die gesellschaftliche Debatte über Tierethik nicht nur in Deutschland sondern international erheblich voranzutreiben. (Eine Neuauflage der gbs-Grundgesetzinitiative ist für 2024 geplant.)

Das Great Ape Project ist heute (wieder) in zwölf Ländern rund um den Globus mit je eigenen Chapters vertreten. Argentinien, Brasilien, Chile, Cote d’Ivoire, Dänemark, Deutschland, Großbritannien, Israel, Japan, Mexico, Spanien und Uruguay. Unter Bezugnahme auf das Great Ape Project sprach ein argentinisches Gericht 2014 einem Orang Utan im Zoo von Buenos Aires personale Grundrechte zu; Ende 2016 wurden von einem anderen argentinischen Gericht vergleichbare Grundrechte einer unter katastrophalen Bedingungen im Zoo von Mendoza gehaltenen Schimpansin zuerkannt: beide Tiere mussten in Sanctuaries in den USA bzw. Brasilien abgegeben werden.

 
GAP Deutschland

Die deutsche Sektion des Great Ape Project ist eng mit der britischen affiliiert, die in Wales ein Auffangzentrum für nicht-menschliche Primaten unterhält, die aus Zirkussen, Zoos, Pharmalaboren oder aus schlechter Privathaltung abgegeben oder beschlagnahmt wurden. Neben der "politischen" Agenda geht es der deutsch-englischen Partnerschaft in erster Linie um eine Verbesserung der Lebensbedingungen aktuell in Gefangenschaft gehaltener und nicht-wiederauswilderbarer (Menschen-)Affen. In den zurückliegenden Jahren konnten dutzende Tiere – Schimpansen, Gibbons, Paviane, Lemuren, Makaken u.v.a. - aus miserabler Haltung befreit bzw. herausgeklagt und in das Waliser Sanctuary verbracht werden, wo sie, ihren individuellen Bedürfnissen bestmöglich entsprechend, auf Lebenszeit untergebracht und versorgt werden.

  
Türöffner

Zur viel und kontrovers diskutierten Frage, was den Einsatz gerade für Menschenaffen (bzw. nicht-menschliche Primaten in weiterem Sinne) rechtfertigt, durch deren allfälligen Einbezug in die Rechtsgemeinschaft der Menschen sich nur die Grenzlinie verschöbe und nun Menschen und Menschenaffen auf der einen von allen anderen Tieren auf der anderen Seite trennte, woraus letztere keinerlei Nutzen bezögen ist in aller Pragmatik zu sagen: Irgendwo muß man anfangen. Zudem – und das ist das Entscheidende – stellen (Menschen-)Affen den Dreh- und Angelpunkt des Verhältnisses Mensch-Natur dar, sie definieren wie nichts und niemand sonst die sakrosankte Grenzlinie zwischen Mensch und Tier: sind sie festgeschrieben "auf der anderen Seite", sind das alle anderen Tiere mit ihnen. Würde die Grenze durchlässig, könnte das ein "Türöffner" sein, der letztlich allen Tieren zugute käme: Ist erst einmal Bewusstsein dafür geschaffen, dass den (Menschen-)Affen bestimmte Grundrechte zustehen, können auch die Interessen anderer Tiere nicht mehr übergangen werden. Es wäre dies ein revolutionärer erster Schritt hin zu einem radikalen Wandel des gesellschaftlichen Konsenses über das Verhältnis des Menschen zu nicht-menschlichen Tieren.