„Es ist an der Zeit, die Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch zu revidieren!“
Die Streichung von §219a StGB sollte nur der erste Schritt einer umfassenden Rechtsreform sein
Am morgigen Donnerstag wird der Deutsche Bundestag über die Abschaffung des Straftatbestands der "Werbung für den Schwangerschaftsabbruch" (§ 219a StGB) debattieren. Die Giordano-Bruno-Stiftung würde es sehr begrüßen, "wenn dieser alte, noch aus der Nazizeit stammende Paragraph fällt", sagt gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon. "Doch diese Streichung allein würde die weltanschauliche Schieflage in der Gesetzgebung nicht beseitigen. Leider sind die Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch in ihrer Gesamtheit weder rational noch evidenzbasiert noch weltanschaulich neutral. Es ist an der Zeit, sie grundlegend zu revidieren."
Die Schieflage der Gesetze zeige sich, so Schmidt-Salomon, besonders deutlich an den Bestimmungen zur sogenannten "Schwangerschaftskonfliktberatung", die in § 219 StGB geregelt wird. Dort nämlich heißt es, es müsse der Frau bewusst sein, "dass das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und dass deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, dass sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt" (§ 219, Abs. 1, Satz 3 StGB).
Schmidt-Salomon stört sich hier vor allem an der Formulierung, das Ungeborene habe "in jedem Stadium der Schwangerschaft" ein "Recht auf Leben": "Aus kritisch-rationaler Perspektive ist dieser Satz grober Unfug, da das Recht auf Leben ein entsprechendes Interesse am Leben voraussetzt, was bei einem bewusstseinsunfähigen, völlig empfindungsfreien Embryo per definitionem nicht gegeben ist. Erst mit der 20. Schwangerschaftswoche beginnt die Entwicklung der Großhirnrinde, die es dem Fötus später erlaubt, bewusst zu empfinden und erste Erfahrungen abzuspeichern. Dass der Gesetzgeber in §219 StGB nicht zwischen empfindungsfreien Embryonen und entwickelten Föten unterscheidet, ist nur auf der Basis höchst obskurer religiöser Prämissen möglich, die ein weltanschaulich neutraler Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern niemals vorschreiben darf."
Die religiösen Hintergründe der deutschen Gesetzgebung
Die eigentümliche Idee, bereits empfindungsfreien Zellformationen ein "Recht auf Leben" zuzubilligen und schwangeren Frauen aufgrund dieses "Rechts" ein "zumutbares Opfer" abzuverlangen, beruht, so Schmidt-Salomon, auf dem Konzept der "Simultanbeseelung", dem vermeintlichen "Eingießen des Geistes im Moment der Befruchtung". Viele halten diese Vorstellung für "urchristlich" – tatsächlich aber ist sie für Katholiken erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbindlich: "Viele Theologen, Bischöfe und Päpste waren zuvor von der alternativen Konzeption der ‚Sukzessivbeseelung‘ ausgegangen, wonach die ‚Seele‘ des Menschen erst am Ende des dritten Schwangerschaftsmonats voll ausgebildet ist, so dass Abtreibungen bis zu diesem Zeitpunkt religiös legitimiert werden konnten. Dann aber verkündete Papst Pius IX im Jahr 1854 das Dogma der ‚Unbefleckten Empfängnis Mariens‘. Offenkundig litt er in der Folgezeit sehr unter dem Gedanken, dass die angeblich ‚sündenfrei‘ empfangene Gottesmutter jemals ‚vernunft- und seelenlose Materie‘ gewesen sein könnte. Daher erhob Pius IX. im Jahre 1869 zu Ehren der ‚Heiligen Jungfrau Maria‘ die ‚Simultanbeseelung‘ zur verbindlichen ‚Glaubenswahrheit‘ – eine Entscheidung, über die man heute schmunzeln könnte, würde sie nicht noch immer die Gesetze des säkularen Staates bestimmen."
Besonders absurd wirke die religiös aufgeladene Argumentation, wenn man sich vergegenwärtige, "dass etwa die Hälfte der Embryonen, die sich in der Gebärmutter einnisten, spontan wieder abgeht, was nur in knapp 20 Prozent der Fälle bemerkt wird", meint Schmidt-Salomon: "Trotz der Häufigkeit des natürlichen Aborts und der logischen Klimmzüge, die christliche ‚Lebensschützer‘ ob dieser Tatsache eigentlich machen müssten (wäre der ‚liebe Gott‘ dann nicht der der ‚größte Abtreibungsarzt aller Zeiten‘?!), hat der deutsche Gesetzgeber den künstlichen Abort, den Schwangerschaftsabbruch, mithilfe von § 218 StGB verboten. § 218a StGB verfügt zwar, dass der Abbruch unter bestimmten Bedingungen straflos ist, das ändert aber nichts daran, dass der Staat sich auf der Basis überkommener religiöser Vorstellungen anmaßt, Frauen ins Gewissen zu reden (§219 StGB) und ihnen den freien Zugang zu relevanten Informationen zu verwehren (§219a StGB). Mit dem Gebot der weltanschaulichen Neutralität ist dies unter keinen Umständen zu vereinbaren!"
Religiöse Schikane
In Bezug auf die aktuelle Debatte über die Abschaffung des Straftatbestands der "Werbung für den Schwangerschaftsabbruch" verweist Schmidt-Salomon auf den einschlägigen Kommentar des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) vom November 2017 und bezieht selbst eine sehr klare Position: "Selbstverständlich darf das Anbieten von Informationen über den Schwangerschaftsabbruch niemals als strafbare Handlung begriffen werden. Im Gegenteil: Das Verschweigen solcher Informationen müsste als Verstoß gegen die ärztliche Informationspflicht (§ 630c, Abs. 1 BGB) gewertet werden! Darüber hinaus müsste der deutsche Staat nun endlich dafür sorgen, dass es auch in ländlichen Gebieten Kliniken gibt, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Die jetzige Situation, in der Frauen oft 100 Kilometer fahren müssen, um eine geeignete Klinik zu finden, ist religiöse Schikane und in einem weltanschaulich neutralen Staat nicht länger zu tolerieren."