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„Wir müssen die weltanschauliche Schieflage in unserem Rechtssystem beheben!“

Das Institut für Weltanschauungsrecht setzt sich für die Neutralität des Staates ein

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1965 festgestellt, dass das Grundgesetz den Staat als "Heimstatt aller Staatsbürger" zu "weltanschaulich-religiöser Neutralität" verpflichtet. In der Praxis wird dieses Rechtsprinzip jedoch häufig verletzt. Das "Institut für Weltanschauungsrecht" (ifw) will diesem Missstand entgegenwirken.

Mit der heute erfolgten Freischaltung seiner Website hat das  "Institut für Weltanschauungsrecht" (ifw)  seine Arbeit offiziell aufgenommen. Ziel des Instituts ist die Stärkung des im Grundgesetz verankerten Rechts auf "Weltanschauungsfreiheit". Dieses umfasst, wie das ifw in seinem Leitbild darlegt, "nicht nur das Recht, sich zu einer religiösen oder nichtreligiösen Weltanschauung zu bekennen, sondern auch die Freiheit, das eigene Leben nach diesen weltanschaulichen Überzeugungen zu gestalten, sofern dadurch keine Rechte Dritter verletzt werden". Laut ifw "wird diese fundamentale Freiheit der Bürgerinnen und Bürger auf vielen Rechtsgebieten in illegitimer Weise beschnitten – und zwar von der Wiege bis zur Bahre, ja sogar darüber hinaus, nämlich vom Embryonenschutz bis zur Bestattungspflicht". Viele Rechtsnormen und staatliche Einrichtungen seien trotz der entsprechenden Verpflichtung der Verfassung nicht "weltanschaulich neutral" gehalten, sondern beruhten auf religiösen Glaubensvorstellungen, die in der Bevölkerungsmehrheit keinen Rückhalt mehr fänden.

 

Mannigfaltige Verstöße gegen das Gebot der weltanschaulichen Neutralität

Ein markantes Beispiel für die "weltanschauliche Schieflage im Staat" sei das "paternalistische Sterbehilfeverhinderungsgesetz", das 2015 vom Deutschen Bundestag "gegen den Willen von achtzig Prozent der Bürgerinnen und Bürger sowie gegen das Votum der deutschen Strafrechtslehrer auf den Weg gebracht wurde", sagt der Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) Michael Schmidt-Salomon, der an der Gründung des ifw aktiv beteiligt war. Dank der Hilfe christlich-konservativer Politiker sei es den Kirchen mit § 217 StGB gelungen, "de jure einen Teil der Deutungshoheit über den Sterbeprozess wiederzugewinnen, den sie de facto längst verloren hatten": "Sie instrumentalisierten das Parlament, um der Bevölkerung eine religiös begründete Verhaltensnorm aufzuzwingen, die nur noch von einer Minderheit akzeptiert wird."

Dabei sei das "Sterbehilfeverhinderungsgesetz" nur ein Beispiel unter vielen: "Tatsächlich gibt es viele Gesetze und Verordnungen im Straf- und Steuerrecht, im Medien-, Medizin- und Arbeitsrecht, in den Landesverfassungen, Feiertagsgesetzen und Schulordnungen, die gegen das Gebot der weltanschaulichen Neutralität verstoßen." Dieser Zustand sei nicht länger hinnehmbar, meint Schmidt-Salomon: "Wir müssen die weltanschauliche Schieflage in unserem Rechtssystem beheben! Denn nur ein weltanschaulich neutraler Staat kann allen Bürgerinnen und Bürgern Weltanschauungsfreiheit garantieren. Nur er besitzt die nötige Glaubwürdigkeit, um in Konfliktfällen als unparteiischer Schiedsrichter aufzutreten und für die Einhaltung verbindlicher Regeln zu sorgen, da er sich von keinem Akteur auf dem weltanschaulich-religiösen Spielfeld vereinnahmen lässt."

 

Eine prominent besetzte "juristische Task Force"

Diese Überzeugung teilt die Verwaltungsjuristin Jacqueline Neumann, die im ifw-Direktorium die wissenschaftliche Koordinierung übernommen hat. Neumann erläutert, wie es zur Institutsgründung kam: "Um der wachsenden Zahl von juristischen Anfragen gerecht zu werden, wurde innerhalb der gbs bereits vor Jahren eine juristische Task Force aus erfahrenen Rechtsanwälten und Rechtsexperten gebildet. Derzeit begleiten wir ein Dutzend Verfahren sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene. Hieraus entwickelte sich die Idee, die verschiedenen juristischen und rechtspolitischen Aktivitäten auf dem Gebiet des Weltanschauungsrechts in einem eigenen Institut zu bündeln. Letztlich wollen wir mithilfe des ifw dazu beitragen, dass das Verfassungsprinzip der weltanschaulichen Neutralität des Staates endlich die Bedeutung erhält, die ihm gebührt."

Das ifw-Direktorium kann auf prominente Unterstützung zurückgreifen: So finden sich im Beirat gleich mehrere Juraprofessoren, u.a. Reinhard Merkel, der auch Mitglied des Deutschen Ethikrates ist, die ehemalige SPD-Spitzenpolitikerin Ingrid Matthäus-Maier, der Staatsminister a.D. im Bundeskanzleramt Rolf Schwanitz und der langjährige HU-Vorsitzende und Mitherausgeber des jährlichen "Grundrechte-Reports" Till Müller-Heidelberg. (Informationen über alle Mitglieder des ifw-Direktoriums und -Beirats findet man hier.)

 

Offen für Zusammenarbeit

Dem Vorwurf, dass ein Rechtsinstitut, das von der humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung finanziert wird, selbst eine "weltanschauliche Schieflage" aufweise, widerspricht Michael Schmidt-Salomon mit Nachdruck: "Wir ergreifen Partei für die Stimme der Vernunft – und diese ist nicht notwendigerweise bei einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppierung beheimatet, auch nicht bei den Konfessionsfreien! Zwar stimmt es, dass sich die Verfahren, die wir derzeit führen, gegen Kirchenprivilegien bzw. gegen religiös verzerrte Interpretationen der Grundrechte richten, doch sollte es dazu kommen, dass säkulare Organisationen die Weltanschauungsfreiheit religiöser Bürgerinnen und Bürger verletzen, würde sich das ifw ebenso deutlich zu Wort melden."

Jacqueline Neumann ergänzt: "Wir suchen die Zusammenarbeit mit denjenigen, die für rational begründete, evidenzbasierte, weltanschaulich neutrale und gerechte Rechtsnormen eintreten. Und zwar ungeachtet dessen, ob jemand ein religiöses oder nichtreligiöses Vorverständnis hat. Das ifw ist politisch unabhängig, überparteilich und nicht gewerblich orientiert. Wir sind offen für Partnerschaften mit allen staatlichen wie nichtstaatlichen Organisationen, die eine säkulare Rechtspolitik unterstützen."

Die ifw-Website, die in den kommenden Monaten weiter ausgebaut wird, bietet neben Fallbeschreibungen und Gutachten eine umfangreiche Sammlung von Kommentaren zu weltanschauungsrechtlichen Entscheidungen das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Zudem findet sich auf der Website eine Online-Version des Lexikons "Religion und Weltanschauung in Gesellschaft und Recht" von Gerhard Czermak. Der ehemalige Verwaltungsrichter hat sich in den letzten Jahrzehnten wie kaum ein zweiter deutscher Jurist mit Fragen des Weltanschauungsrechts auseinandergesetzt – eine Arbeit, die er nun als Mitglied des ifw-Direktoriums fortsetzen wird.

Weitere Informationen zum Institut sowie zu den juristischen Hintergründen der Weltanschauungsfreiheit und der geforderten Neutralität des Staates gibt es unter: https://weltanschauungsrecht.de.

 

 

Direktorium: Dr. Thorsten Barnickel, Dr. Gerhard Czermak, Dr. Jacqueline Neumann, Dr. Winfried Rath, Dr. Michael Schmidt-Salomon
Beirat: Johann-Albrecht Haupt, Prof. em. Dr. Rolf Dietrich Herzberg, Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Prof. i.R. Dr. Martin Kutscha, Ingrid Matthäus-Maier, Prof. em. Dr. Reinhard Merkel, Ludwig A. Minelli, Dr. Till Müller-Heidelberg, Prof. Dr. Holm Putzke, Eberhard Reinecke, Rolf Schwanitz, Dr. Johannes Wasmuth
Website: https://weltanschauungsrecht.de
E-Mail: info(at)weltanschauungsrecht.de
Postadresse: Institut für Weltanschauungsrecht, Haus Weitblick, Auf Fasel 16, 55430 Oberwesel