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»Die Mafia der Religionen ist gefährlicher als die Cosa Nostra«

Interview mit Hamed Abdel-Samad

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Auszug aus der Ausgabe 2021 des "bruno."-Jahresmagazins (Foto: Evelin Frerk)

Als Vorgeschmack auf die neue Ausgabe des "bruno."-Jahresmagazins, die in der kommenden Woche erscheinen wird, veröffentlichen wir vorab das ausführliche Interview, das die Redakteure der Giordano-Bruno-Stiftung mit gbs-Beirat Hamed Abdel-Samad für das Magazin geführt haben. Sehr offen spricht "Deutschlands bekanntester Islamexperte" darin über sein Leben unter Polizeischutz und seine Konversion vom streng gläubigen Moslem zum freigeistigen Humanisten.

bruno.: Du bist in einer sehr religiösen Familie in Ägypten aufgewachsen. Wie stark hat die Religion deine Kindheit und Jugendzeit geprägt?

Hamed Abdel-Samad: Da ich in einem religiösen Haushalt aufgewachsen bin, habe ich den Koran buchstäblich mit der Muttermilch aufgesaugt. Die Beschäftigung mit dem Koran hat eine lange Familientradition. Mein Vater, Großvater und Urgroßvater waren allesamt Imame, und von mir wurde erwartet, dass ich in ihre Fußstapfen trete. Bereits im Alter von drei Jahren habe ich daher begonnen, Koransuren auswendig zu lernen. Ich habe vieles davon einfach gedankenlos nachgeplappert. So lernte mein Gehirn den Wortlaut und die Melodie des Korans, ohne überhaupt die Bedeutung dahinter zu verstehen.

Je älter ich wurde, desto mehr interessierte ich mich für die Bedeutung der Suren. Mit etwa acht Jahren habe ich schließlich angefangen, kritische Fragen zu stellen: Warum gibt es überhaupt die Hölle? Warum hat Gott uns erschaffen, wenn er weiß, dass viele von uns in der Hölle landen? Das empfand ich schon damals als brutal und ungerecht. Dadurch kamen früh erste Zweifel in mir auf.

Du hast dich später von deiner religiösen Erziehung losgesagt und dem Islam abgeschworen. Gab es eine konkrete Zäsur in deinem Leben oder war es ein längerer Prozess, der dazu geführt hat?

Es war ganz und gar nicht leicht, mich von der Religion loszusagen. Mein Verhältnis zum Islam war wie eine sehr intime Beziehung – vergleichbar mit einer Ehe, in der man Geborgenheit, Verständnis und Orientierung findet. Aber irgendwann fängt man möglicherweise an, seinen Ehepartner anzuzweifeln. Es schleicht sich langsam das Gefühl ein, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Ich stand damit vor einer schwierigen Entscheidung: Ignoriere ich weiterhin die roten Lampen, die vielen Fragezeichen in meinem Kopf, um den scheinbaren Frieden zu wahren, oder vergewissere ich mich, ob diese Beziehung tatsächlich so perfekt ist, wie ich es mir lange Zeit eingeredet habe? Ich musste mich fragen, ob die Beziehung zur Religion wirklich auf echter Liebe basiert oder auf meiner Feigheit und meinem Unvermögen, kritisch zu denken und die Wahrheit anzuerkennen. Irgendwann habe ich den Mut gefasst, diesen Fragen ehrlich nachzugehen. Mir wurde klar, dass es keine echte Liebe war, die auf Gegenseitigkeit beruhte. Es war eine Zwangsbeziehung, eine große Illusion.

Um bei dem Bild der Ehe zu bleiben: Hattest du einen Trennungsschmerz, nachdem du die Scheidung von der Religion hinter dich gebracht hast?

Ja, ich hatte Entzugserscheinungen wie ein Drogenabhängiger. Es war über mehrere Jahre ein Hin und Her, bis ich verstanden habe, dass ich inneren Frieden auch ohne den Islam finden kann. Dieser Schritt war nicht einfach. Denn die Religion hatte von Geburt an meinen Körper manipuliert, meine Beziehung zu mir selbst und zu anderen Menschen. Als Kind wird man ungefragt beschnitten und darf als Jugendlicher nicht mit der eigenen Sexualität experimentieren. Die Religion konfisziert den Körper in jedem Bereich: Was ich auf der Toilette tue, wie ich dusche, wann ich bete, was ich esse und nicht esse. Ich darf mich selbst nicht töten, aber Menschen für die Sache Gottes in die Luft jagen. Es ist ein Gott, der mir einen Körper schenkt, ihn aber für seine eigenen Bedürfnisse instrumentalisiert. Ein totalitärer Diktator, der Menschen kontrollieren will, hätte sich so etwas nicht besser ausdenken können.

Wirkliche Ruhe entwickelte sich in mir erst, als ich nach Deutschland kam. Sie trat ein, als ich meine Überzeugungen und Gedanken nicht mehr vehement verteidigen musste. In Erfurt habe ich vier Jahre lang am Lehrstuhl für Islamwissenschaft die Frühgeschichte des Islam an der Universität unterrichtet. Dort musste ich mich aus einer ganz anderen Perspektive mit dem Koran beschäftigen – nämlich mit seiner Entstehungsgeschichte und mit seinen historischen Quellen. Das war der Zeitpunkt, wo ich gemerkt habe, dass die vermeintlich heilige Schrift nicht vom Himmel gefallen war.

  
Man kann sagen, dass du deine Freiheit sehr teuer erkauft hast. Wegen deiner religionskritischen Bücher wirst du von Islamisten bedroht und stehst seit einigen Jahren unter Polizeischutz. Wie ist Freiheit überhaupt möglich unter diesen Umständen?

Tatsächlich war der Preis extrem hoch, den ich für meine Freiheit zahlen musste. Die psychischen, sozialen und sicherheitstechnischen Konsequenzen sind enorm. Als Mensch bin ich jedoch viel ruhiger geworden, selbst, nachdem ich Morddrohungen erhalten habe. Denn ich wusste, dass mein innerer Frieden von mir selbst abhängt und ihn mir niemand nehmen kann. Ich kann meine Überzeugungen morgen wieder ändern, ohne psychisch zusammenzubrechen. Fundamentalisten hängen dagegen zwanghaft an ihrem Glauben und sind von ihren Gedanken besessen.

Natürlich ist es traurig, dass ich unter diesen Umständen leben muss – aber nur meine physische Freiheit leidet, nicht meine geistige. Ich bin im Kopf viel, viel freier als diejenigen, die mich bedrohen. Was ich physisch an Freiheit verloren habe, versuche ich in Gedanken geistig auszugleichen, indem ich schreibe, mich für die Wahrheit einsetze und kontroverse Diskussionen anstoße. So gesehen haben nicht die Fanatiker gewonnen, sondern ich. Das ist am Ende des Tages auch ein Trost für mich.

Gegenwärtig sind es vor allem zwei Themen, bei denen Kritiker unter Lebensgefahr stehen: der Islam und die Mafia. Ganz besonders werden diejenigen bedroht, die selbst einmal Mitglied waren ...

Ja, das ist ein sehr guter Vergleich, auf den ich auch in meinen Büchern hinweise. Islam und Mafia eint vor allem ein starker Gruppenzwang. Auf Menschen, die nicht zur gleichen Familie oder Glaubensgemeinschaft gehören, wird bei beiden mit Misstrauen und Feindseligkeit reagiert. Es gilt das Prinzip: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns”. Dies gilt ganz besonders für Abtrünnige, die mit dem Ehrenkodex der Gruppe gebrochen haben.

Es ist daher kein Zufall, dass besonders Kritiker des Islam oder der Mafia bedroht werden. Ein Mafia-Kritiker kann aber manchmal Orte finden, wo er verschont bleibt und sicher leben kann. Vor dem Islam bin ich nirgendwo sicher – egal ob in Deutschland, Ägypten oder den USA. Die Mafia der Religionen ist viel gefährlicher als die Cosa Nostra.

Abdel-Samad als Laudator auf Raif Badawi und Ensaf Haidar (Foto: Evelin Frerk)

Wie kann man Menschen am besten unterstützen, die aufgrund ihrer religionskritischen Haltung verfolgt und geächtet werden? Was können Staat und Gesellschaft tun, um diese Menschen zu schützen?

Der Staat gewährleistet Menschen wie mir Polizeischutz. Das ist zwar gut, aber noch lange nicht genug. Denn kaum jemand kümmert sich um die vielen anderen Menschen außerhalb Deutschlands, die ihre Religion verlassen haben und deshalb verfolgt werden. Sie haben keine Lobby und nur wenige Unterstützer*innen. Glücklicherweise gibt es die Giordano-Bruno-Stiftung und die Säkulare Flüchtlingshilfe, die in diesem Bereich wichtige Arbeit leisten. Aber das allein reicht nicht, um all diese bedrohten Menschen zu erreichen und ihnen zu helfen.

Ich selbst versuche diesen Menschen eine Stimme zu geben. Nicht jeder hat Zugang zu den Medien, nicht jeder kann seine Kritik unterbringen. Deshalb kritisiere ich den Islam auch stellvertretend für Exil-Iraner, Exil-Jesiden und Exil-Christen, die in der islamischen Welt unterdrückt wurden. Ich versuche jenen Frauen Gehör zu verschaffen, die in patriarchalen Strukturen massive Gewalt erleben mussten. Nicht zuletzt versuche ich bei jeder Gelegenheit auf Menschen wie Raif Badawi aufmerksam zu machen, der zu einer Gefängnis- und Folterstrafe verurteilt wurde, bloß weil er sich in Saudi-Arabien für grundlegende Menschenrechte eingesetzt hat.

Du bist Beiratsmitglied in der Giordano-Bruno-Stiftung. Als geborener Individualist bist du eigentlich schwer institutionalisierbar. Wie kam der Kontakt zur gbs zustande?

2010 war ich bei einer Podiumsdiskussion zu Gast, bei der auch gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon teilnahm. Meine Redebeiträge haben Michael offenbar gut gefallen, denn später hat er mich zu einem Vortrag am Stiftungssitz eingeladen. Nach meinem Vortrag wurde ich schließlich gefragt, ob ich Beirat der Stiftung werden möchte. Der Stifter, Herbert Steffen, war diesbezüglich sehr ehrlich mit mir. Er meinte, dass es Menschen gab, die zunächst Mitglied bei der Stiftung waren, sich dann aber wieder zurückgezogen haben, weil sie Anfeindungen erleben mussten. Für mich war die Sache jedoch klar: Wenn die Stiftung für Humanismus, freies Denken und Individualismus steht, dann bin ich dabei – koste es, was es wolle. So lebe ich mein ganzes Leben. Ich habe Ägypten nicht verlassen, damit ich hier dann immer aufpasse, auf welcher Seite ich stehe. Rückblickend war es die richtige Entscheidung, die ich keinen einzigen Tag bereut habe. Ich habe in der Stiftung sehr interessante Menschen kennengelernt, die wirkliche Humanisten und Individualisten sind. Die Freundschaft zu Michael und Herbert zum Beispiel ist für mich ein Schatz.

Bis vor kurzem warst du auch Mitglied der Deutschen Islamkonferenz, hast dann aber deinen Rücktritt bekannt gegeben. Welche Hauptdefizite bestehen aus deiner Sicht bei der aktuellen Islamdebatte?

Es gibt ein Islamproblem in Deutschland. Daran ist nicht nur der Islam schuld, sondern auch die unvollendete Säkularisierung, die eine Lücke in den Gesetzen, im Bildungssystem und den Institutionen hinterlassen hat. Die Privilegien, die man den Kirchen gewährt, kann man den Islamverbänden nämlich schwerlich vorenthalten. Der Wunsch des Staates nach Strukturen und Ansprechpartnern führte dazu, dass man den Islam gewissermaßen verkirchlicht hat. Dadurch wurden die schlimmsten Gruppen zu Vorsprechern "der Muslime” gemacht – weil sie besser organisiert sind, mehr Ressourcen haben und finanzielle und ideelle Unterstützung aus dem Ausland erhalten. Vom Staat werden ihnen inzwischen wichtige Aufgaben wie der Islamunterricht oder islamische Seelsorge zugeteilt, obwohl sie nach wie vor keine Körperschaften des öffentlichen Rechts sind.

Das Grundproblem der aktuellen Islamdebatte liegt also in dem Vorrang der Gruppe vor dem einzelnen Menschen. Der deutsche Staat geht mit Muslimen nicht als Bürger um, sondern als Angehörige einer Religion. Er betrachtet sie damit nicht mehr als Individuen, sondern als Kollektiv. Das ist fatal, denn Tribalismus ist ein Feind der offenen Gesellschaft.

Hamed Abdel-Samad bei einem gbs-Beiratstreffen im "Haus Weitblick" (Foto: Evelin Frerk)

In deinem neuen Buch "Schlacht der Identitäten: 20 Thesen zum Rassismus – und wie wir ihm die Macht nehmen” hast du dich intensiv mit dem Problem starrer Gruppenzugehörigkeiten beschäftigt. Warum sind kollektive Identitäten so gefährlich?

Die Gefahren werden heute in vielen identitätspolitischen Debatten sichtbar. Da spielt es wieder eine Rolle, ob man weiß oder schwarz, Migrant oder einheimisch, links oder rechts ist. Statt solch eindimensionale Zuschreibungen kritisch zu hinterfragen, werden sie zusätzlich zementiert. Der Antirassismus sollte ja eigentlich genau das Gegenteil davon tun. Er sollte Brücken bauen, keine Mauern. Er sollte ideologische Grabenkämpfe überwinden und den Menschen als Individuum würdigen und ermächtigen. Doch oft bedienen sich Antirassisten der gleichen Mittel wie die Rassisten selbst, indem sie Menschen in Gruppen aufteilen und sie auf ihre ethnische oder religiöse Zugehörigkeit reduzieren. Dem berechtigten Kampf gegen Rassismus wird damit leider ein Bärendienst erwiesen.

Die Identitätspolitik ist für viele Menschen zu einer Art Ersatzreligion geworden, bei der Dogmen mehr zählen als die Freiheit. Im Namen der Toleranz werden Denk- und Sprechverbote erteilt und unliebsame Meinungen an den Rand gedrängt. Ich sehe darin eine Konterrevolution gegen die Aufklärung, die das friedliche Zusammenleben gefährdet.

Wie ist es möglich, in einer pluralistischen Gesellschaft den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, ohne in ein identitäres Lagerdenken zurückzufallen?

Die Lösung liegt im Individualismus. Das bedeutet nicht, dass man seine Identität aufgeben muss. Wir sollten jedoch verstehen, dass alle Menschen kulturelle Mischlinge sind, die zahlreiche Eigenschaften in sich vereinen. Starre Identitätskonzepte werden dieser Tatsache nicht gerecht, sondern reduzieren Menschen unzulässig auf bestimmte Attribute. Die Welt wäre jedenfalls sehr viel friedlicher, wenn wir uns von den tribalen Strukturen lösen und eine höhere Identität anstreben. Was könnte für uns Menschen eine bessere Identität sein als das Menschsein? Wir sind alle Teil der einen Menschheit, Teil des gleichen Universums. Diese Zugehörigkeit ist weder mit Angst noch mit Hierarchien verbunden, sondern schärft unser Verantwortungsbewusstsein, ohne die freie Entfaltung des Individuums einzuschränken.

In einer pluralistischen Gesellschaft braucht es selbstverständlich gegenseitigen Respekt und Schutz vor Diskriminierung. Ethnische und kulturelle Vielfalt setzen aber auch Vielfalt in der Meinungsäußerung voraus. Das ist leider nicht mehr selbstverständlich. Ein Schriftsteller muss heute aufpassen, was er sagt, weil er die Gefühle aller möglichen Gruppen verletzen könnte. Der Diskursraum ist dadurch leider spürbar enger geworden.

Mit welchen Maßnahmen lässt sich die Debattenkultur deiner Meinung nach wieder verbessern?

Indem man sich das Recht zur Beleidigung vorbehält – egal, wie viele verletzte Seelen um einen herum taumeln. Zuerst kommt die Meinungsfreiheit, dann kommen die Gefühle. Ich habe das Recht, Religionen zu beleidigen und durch den satirischen Kakao zu ziehen. Religionen sind bloß ein paar Gedanken, die keine Immunität gegen Kritik für sich beanspruchen können. Die Grenzen hat das Gesetz vorgeschrieben. Sie liegen dort, wo Menschen diffamiert werden und zur Gewalt aufgerufen wird. Abgesehen davon entscheide ich selbst, was zu sagen ist und was nicht.

Wir sollten sachlich über unsere Rechte und Pflichten reden statt über diffuse Empfindungen. Auf Argumente muss mit Argumenten reagiert werden – nicht mit Empörung. Damit kämen wir gesellschaftlich sehr viel weiter als mit den identitätspolitischen Diskussionen. Die Identitätspolitik begnügt sich mit Anklagen und symbolischen Gesten, vernachlässigt dabei aber Probleme, die unsere Aufmerksamkeit sehr viel mehr verdient hätten.

Hamed Abdel-Samad bei einem gbs-Beiratstreffen im "Haus Weitblick" (Foto: Evelin Frerk)

Wie optimistisch oder pessimistisch bist du, dass sich Säkularismus und Individualität in Zukunft politisch durchsetzen werden?

Ich bin pessimistisch, wenn ich mir den langen Weg vor Augen halte, den wir in Zukunft noch gehen müssen. Der Blick auf den Weg, den die Menschheit bereits zurückgelegt hat, macht mich dann aber wieder optimistisch. Denn in der Wissenschaft, Philosophie und Kunst haben wir beeindruckende Fortschritte gemacht. Es ist unwahrscheinlich, dass ein paar Legenden all diese fortschrittlichen Entwicklungen wieder rückgängig machen können. Historische Wendezeiten bringen erfahrungsgemäß Unsicherheiten mit sich und begünstigen dadurch die nostalgische Rückbesinnung auf Traditionen und Religionen. Diese Rückbesinnung auf die Vergangenheit wird jedoch keine lebenswerte Zukunft garantieren und keinen Wohlstand aufbauen. Das schafft nur eine säkulare Gesellschaft, die mit Vernunft, Wissenschaft und Menschenrechten ausgestattet ist.

Selbstverständlich sollten wir uns nicht der Illusion hingeben, dass sich fundamentalistische Kräfte zurückziehen und freiwillig aufgeben. Ein Ende der Geschichte, wie es der Politologe Francis Fukuyama prognostizierte, ist nicht in Sicht. Langfristig werden die Fundamentalisten den Kampf aber verlieren, weil sie mit den gesellschaftlichen Transformationen nicht mithalten können.

Zum Abschluss unseres Interviews noch eine etwas ungewöhnliche Frage: Stell dir vor, du stirbst. Es stellt sich zu deiner Verwunderung heraus, dass der Islam tatsächlich die richtige Religion war. Was würdest du Allah sagen, wenn du ihn an der Himmelspforte triffst?

Ich würde ihm sagen: "Vielleicht war der Islam die richtige Religion – aber nicht für mich! Wie kannst du von mir etwas erwarten, das für mich nicht das Richtige war. Du hast eine ungeheure Arbeit geleistet, um dich vor mir zu verstecken. Du hast wahnsinnig viel investiert, damit ich dich nicht sehen und nicht hören kann. Wie hätte ich Sterblicher dich finden sollen? Du hast gewonnen, weil du als allmächtiger Gott gewinnen musstest. Wenn du nicht nur allmächtig, sondern auch gerecht bist, wirst du mich nicht in die Hölle verbannen.”

Das Interview mit Hamed Abdel-Samad wurde von Florian Chefai und Jonas Pöld geführt. Es erscheint Mitte Oktober in der Ausgabe 2021 des "bruno."-Jahresmagazins. Eine pdf-Version des Interviews kann ab sofort kostenfrei über diesen Link von der gbs-Website heruntergeladen werden.