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Ein Meister des Zusammenhangs

Michael Schmidt-Salomon gratuliert gbs-Beirat und Urmelvater Max Kruse zum 90. Geburtstag

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Max Kruse, Foto: Evelin Frerk

Er entstammt einer berühmten Familie, seine Bücher wurden millionenfach verkauft, sein "Urmel aus dem Eis" ist längst zu einem Klassiker geworden – und doch ist Max Kruse stets bescheiden geblieben. Heute feiert der Schriftsteller seinen 90. Geburtstag. gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon gratuliert.

Von allen Mitgliedern der Giordano-Bruno-Stiftung kannte ich seinen Namen zweifellos als allerersten, denn aus Max Kruses Feder stammen einige der schönsten Produktionen der Augsburger Puppenkiste, die ich als Kind heiß und innig liebte, u.a. „Der Löwe ist los“, „Gut gebrüllt, Löwe“, „Don Blech“, „Lord Schmetterhemd“ und natürlich der Klassiker schlechthin: „Urmel aus dem Eis“. Ach, was habe ich über das freche „Urmeli“ gelacht, das sich von Hausschwein Wutz so gar nicht erziehen ließ! Noch heute muss ich grinsen, wenn ich daran denke, wie Ping und Wawa um die „Mupfel“ streiten!

Als ich selbst zu schreiben begann, war Max Kruse als Kinderbuchautor eine legendäre Gestalt wie Michael Ende oder Astrid Lindgren. Und so dachte ich, als ich im Jahr 2004 eine Email von einem Max Kruse erhielt, beim besten Willen nicht daran, dass es sich um „den“ Max Kruse handeln könnte. In aller Bescheidenheit hatte er angefragt, ob man die Giordano-Bruno-Stiftung auch als Nichtwissenschaftler unterstützen könne  – ohne dabei ein einziges Wort über sich selbst zu verlieren. Zufälligerweise fiel mein Blick bei der Antwort auf die Endung seiner Emailadresse: „max-kruse-urmel.de“. „Das kann doch nicht sein!“, dachte ich mir. Vorsichtig fragte ich nach – und tatsächlich: Der Schöpfer des  Urmel wollte die (damals noch weithin unbekannte) Giordano-Bruno-Stiftung unterstützen! Ich war begeistert. Natürlich sagten wir zu. Dabei veränderte schon die erste Mail, die Max an uns schrieb, die Stiftung in nachhaltiger Weise, denn auf seine Anregung hin beschlossen wir, den gbs-Förderkreis ins Leben zu rufen, dem heute mehr als 3000 Personen angehören,  und den Beirat der Stiftung, der ursprünglich nur aus Wissenschaftlern und Philosophen bestanden hatte, für Künstlerinnen und Künstler zu öffnen.  Beides brachte die Stiftung mit Riesenschritten nach vorne.

Dass Max Kruse unser erster künstlerischer Beirat wurde und wir uns kurze Zeit darauf auch das erste Mal persönlich treffen konnten, freute mich ungemein – nicht nur wegen des Urmels, sondern auch weil ich in der Zwischenzeit seine vierbändige Kulturgeschichte der Menschheit „Im weiten Land der Zeit“ gelesen hatte. Dieses Werk, das wenig später vom Hessischen Rundfunk mit Peter Fricke als Hauptsprecher in wunderbarer Weise vertont wurde, zeigt eine der großen Stärken des Sachbuchautors Kruse: Er ist ein wahrer Meister des Zusammenhangs, wie es nur sehr wenige gibt, ein Autor, der dort, wo andere den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen, mit Leichtigkeit die wesentlichen Entwicklungslinien herausarbeitet und dem Leser verständlich macht. Komplexe Sachverhalte kann man kaum einfacher, einfühlsamer, unterhaltsamer vermitteln. Von dieser Fähigkeit, den großen Bogen spannen zu können, ohne die Leserinnen und Leser über Gebühr zu strapazieren, zeugen auch Kruses spätere Bücher „Antworten aus der Zukunft“, „Gott oder Nichtgott“ und „Besen, Besen, seid's gewesen“  – allesamt kleine Meisterwerke der Aufklärung.

Mein Lieblings-Kruse der letzten Jahre ist allerdings die Autobiographie „Im Wandel der Zeit – Wie ich wurde, was ich bin“ – ein Buch, das man gar nicht mehr aus der Hand legen möchte. Wenn man den unabänderlich dahinfließenden Strom der Zeit überhaupt in Worte fassen kann, so ist es in diesem Buch gelungen. Man erlebt nicht nur mit, wie aus dem kleinen Maxl der große Max wird, sondern sieht im Spiegel dieser Geschichte gewissermaßen sein eigenes Leben an sich vorbeiziehen. Das ist aus zwei Gründen ungewöhnlich: Erstens, weil Max Kruse eine völlig andere Zeit schildert (die meisten seiner Leser dürften den 2. Weltkrieg nicht bewusst erlebt haben), und zweitens, weil die Familie, aus der er stammt,  kaum größere Gemeinsamkeiten mit den Familien seiner Leser haben dürfte: Denn seine Eltern waren nicht nur unorthodoxe künstlerische Freigeister, sondern auch regelrechte Berühmtheiten: Sein Vater, der Bildhauer Max Kruse senior, gehörte zu den großen Bildenden Künstlern seiner Zeit, war Mitglied der Secession und der Berliner Akademie der Künste. Er schuf Bühnenbilder für Max Reinhardt, stand in Kontakt mit Thomas Mann und Gerhard Hauptmann, zu seinem 80. Geburtstag gratulierte Reichspräsident Hindenburg.  Mutter Käthe Kruse, dreißig Jahre jünger als der Vater, stellte zunächst für den Hausgebrauch, später im großen Stil die weltberühmten Käthe-Kruse-Puppen her, die die Spielzeugindustrie revolutionierten.

Als Kind solch berühmter Eltern wusste Max Kruse junior lange Zeit nicht, was er mit seinem Leben anstellen sollte. Er wollte Dichter werden, scheiterte jedoch an seinen eigenen Ansprüchen. Eher zufällig, weil Mutter Käthe Kruse eine Geschichte für ihre Puppen brauchte, brachte er 1948 „Der Löwe ist los!“ zu Papier. Als Kinderbuch erschien die Geschichte 1952. Der große Erfolg kam allerdings erst 1964, als die Augsburger Puppenkiste das Buch verfilmte – ein Glücksfall für Max Kruse persönlich, der sein Brot zuvor als Werbetexter verdiente, und natürlich auch für seine vielen Millionen Leserinnen und Leser, denn sehr wahrscheinlich wären ohne die Augsburger Puppenkiste weder die Urmel-Bücher noch die späteren aufklärerischen Werke „Im weiten Land der Zeit“ oder „Antworten aus der Zukunft“ entstanden.

Ohne Max Kruses Werke, ohne seine Phantasie, sein Einfühlungsvermögen, seine Weisheit, sähe unsere Welt sehr viel ärmer aus! Deshalb ist ihm – schon aus purem Eigennutz – weiterhin viel Kraft und Gesundheit zu wünschen, damit er all die Projekte, die er sich vorgenommen hat, vollenden kann. Im Namen der Giordano-Bruno-Stiftung gratuliere ich ihm herzlich zum 90. Geburtstag! Mögen noch viele weitere Geburtstage folgen! Es ist für uns alle eine ganz besondere Ehre, ihn unter unseren Freunden zu wissen…

Michael Schmidt-Salomon