Patientenautonomie in der Krise
Stellungnahme des Hans-Albert-Instituts zu den medizinethischen Konsequenzen der Corona-Pandemie
"Nicht die bedingungslose Rettung oder Verlängerung von Leben sollte das vorrangige Ziel des ärztlichen Handelns sein. Vielmehr gilt es, eine medizinische Versorgung zu gewährleisten, die dem Willen der Patienten entspricht und zu ihrem Wohl beiträgt." Dies geht aus einer heute veröffentlichten Empfehlung des Hans-Albert-Instituts (HAI) hervor, die sich mit den medizinethischen Konsequenzen der Corona-Pandemie beschäftigt.
Vor allem ältere Menschen sollten sich "mit der Frage auseinandersetzen, ob und wie sie im Falle einer akuten Verschlechterung des Gesundheitszustandes behandelt werden möchten", rät das Institut. Allerdings setze eine selbstbestimmte Entscheidung für oder gegen eine medizinische Maßnahme ein entsprechendes Wissen über die Chancen und Risiken voraus. Dies betreffe in der aktuellen Corona-Krise insbesondere die Frage der Nützlichkeit und Angemessenheit einer intensivmedizinischen Behandlung.
Das Hans-Albert-Institut weist in diesem Zusammenhang auf empirische Studien hin, denen zufolge nur etwa 10 bis 30 Prozent eine invasive Beatmung infolge einer schweren Covid-19-Erkrankung überlebten. Gerade bei älteren Patienten müsse man die Überlebenschancen als "erschreckend gering" einstufen. So seien in New York 97,2 Prozent der Über-65-Jährigen gestorben, die invasiv beatmet worden waren. Aufgrund solcher Erfahrungen würden Lungenfachärzte nun vermehrt dazu raten, vor dem Übergang zu einer invasiven Beatmung die gesamte Palette der zur Verfügung stehenden nicht-invasiven Behandlungsmethoden auszuschöpfen, um weitere Lungenschäden zu vermeiden und die Überlebenschancen der Patienten möglicherweise zu erhöhen.
Plädoyer für eine kritisch-rationale Medizin
Deutliche Kritik äußerte das Institut in diesem Punkt an der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, die auf die Frage, wie hoch in Deutschland der Prozentsatz der nach einer Intubation verstorbenen Patienten sei, mitteilte, dies sei "völlig irrelevant, da nicht die Intubation als solche bedeutsam ist, sondern die Schwere der Erkrankung des Patienten, die zu der Erfordernis einer Intubation und Beatmung geführt hat". Dem hält das Hans-Albert-Institut entgegen, dass es sehr wohl entscheidend sei, "in Erfahrung zu bringen, wie viele Patienten von einer invasiven Beatmung profitieren konnten und welche Faktoren dafür von Bedeutung waren": "Erst dann lässt sich der Nutzen einer Therapie und damit auch ihre individuelle Zumutbarkeit faktenbasiert beurteilen. Sollte sich herausstellen, dass andere Behandlungsmethoden zu besseren Ergebnissen führen, sind sie einer invasiven Beatmung vorzuziehen. Eine Korrektur des bisherigen Handelns erst gar nicht zu erwägen, gefährdet dagegen das Patientenwohl."
Die von Juristen, Medizinern und Philosophen des Hans-Albert-Instituts verfasste Stellungnahme endet mit einem kurzen Plädoyer für eine "kritisch-rationale Medizin", welche "ihre Behandlungspraxis fortlaufend hinterfragt und verbessert". Dies erfordere "nicht nur die Fähigkeit, bestehende Ungewissheiten in der derzeitigen Pandemie transparent zu benennen, sondern auch die Offenheit für alternative Problemlösungen": "Schließlich liegt die Stärke der Wissenschaft vor allem in der Bereitschaft, aus ihren Fehlern zu lernen."
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