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Ein Sieg für die Streitkultur an deutschen Universitäten

gbs-Hochschulgruppe gewinnt Klage gegen AStA der Uni Mainz

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Nach der erfolgreichen Verhandlung in Mainz: Melanie Wiese, Marcus Licht und Einar Matthes (Hochschulgruppe Mainz) mit Rechtsanwalt Eberhard Reinecke (ifw) und Michael Schmidt-Salomon (gbs) (Foto: Elke Held)

Am 22.09.2021 gab das Verwaltungsgericht Mainz einer Klage der gbs-Hochschulgruppe in allen Punkten statt, die sich gegen die jahrelange Benachteiligung der HSG durch den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) an der Universität Mainz richtete. Damit ist gewährleistet, dass sich die humanistische Hochschulgruppe nun wieder gleichberechtigt mit anderen studentischen Gruppen am universitären Leben beteiligen kann.

Entzündet hatte sich der Streit Anfang 2017, als der AStA der Giordano-Bruno-Stiftung vorwarf, diese habe 2011 mit der Verleihung ihres Ethikpreises an das "Great Ape Project" u.a. den australischen Philosophen Peter Singer ausgezeichnet, der durch behindertenfeindliche Ansichten und Äußerungen aufgefallen sei. Versuche der Hochschulgruppe, eine zwar kritische, aber auch faire Auseinandersetzung mit dem Philosophen herbeizuführen, schlugen mehrfach fehl. Über die Jahre kamen weitere Begründungen hinzu, um die Benachteiligung zu rechtfertigen. So wurde beispielsweise faktenwidrig behauptet, gbs-Beirat Hamed Abdel-Samad, mit dem die Hochschulgruppe eine Veranstaltung durchführte, sei ein "islamophober Rassist", der den Islam grundsätzlich in eine extremistische Ecke dränge, pauschale Religionsverunglimpfung betreibe und keinerlei Kritik an seinen Positionen zuließe.

 
Lange Akte, kurzer Prozess

In den über 150 Seiten des Schriftwechsels, der Klage und ihren Anlagen, die den gesamten Streit zwischen gbs-HSG und AStA auf politischer, philosophischer und rechtlicher Ebene wiedergaben, war nahezu jedes erdenkliche (Gegen-)Argument enthalten. Demnach verzichteten in der mündlichen Verhandlung das Gericht und die Parteien auf einen ausführlichen Aktenvortrag, woraufhin die Vorsitzende an die Beklagtenseite das Wort richtete und die wesentlichen rechtlichen Gesichtspunkte präsentierte. Während dieselben rechtlichen Hinweise und Erklärungsversuche in den Plenardebatten zwischen AStA und HSG noch belächelt und mit Kopfschütteln quittiert wurden, schienen sie von Seiten des Gerichts mehr Eindruck hinterlassen zu haben. So gab es von der Beklagten kaum noch Gegenrede und die Diskussion vor Gericht fiel recht kurz aus.

Die konkreten Äußerungen des AStA spielten in der folgenden Verhandlung kaum eine Rolle. Immerhin jedoch stellte das Gericht fest, dass an einer vom AStA kritisierten Stellungnahme der HSG, in der eine differenzierte Auseinandersetzung mit Peter Singer und ein Bekenntnis zur offenen Debattenkultur zum Ausdruck kamen, nichts auszusetzen war, wenn man denn für eine freie, offene Debatte auf dem Boden der Grund- und Menschenrechte eintritt.

  
AStA ist zur Neutralität verpflichtet

Ausschlaggebend war für das Gericht insbesondere die Frage, inwieweit die vom AStA vorgebrachten Vorwürfe überhaupt eine Rolle hätten spielen dürfen. Im Rahmen seiner Kompetenzen ist der AStA nämlich mit Hoheitsrechten ausgestattet; er verwaltet einen großen Teil der Semesterbeiträge, die alle eingeschriebenen Studierenden zu zahlen haben und hat konkrete, im Hochschulgesetz festgelegte Aufgaben. Wie für alle Verwaltungsbehörden gilt für ihn insofern eine Pflicht zur weltanschaulichen und politischen Neutralität – so auch die ständige Rechtsprechung, auf die vom Verwaltungsgericht verwiesen wurde.

Ein AStA muss demnach alle Studierenden vertreten und dabei insbesondere Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt und Chancengleichheit im hochschulinternen Diskussionsprozess achten. Zu den Aufgaben des AStA gehört es nach dem Hochschulgesetz auch, "die Meinungsbildung in der Gruppe der Studierenden zu ermöglichen" und "auf der Grundlage der verfassungsmäßigen Ordnung die politische Bildung, das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein und die Bereitschaft ihrer Mitglieder zur aktiven Toleranz sowie zum Eintreten für die Grund- und Menschenrechte zu fördern".

Hierzu stellte das Verwaltungsgericht bereits in der mündlichen Verhandlung in aller Deutlichkeit fest: Die Studierenden haben selbstverständlich das Recht, politische oder weltanschauliche Überzeugungen an der Hochschule zu vertreten, die Organe der studentischen Verwaltung hingegen nicht. Mehr noch: Den Studierenden steht aufgrund ihrer zwangsweisen Mitgliedschaft in der Studierendenschaft ein Abwehranspruch zu, falls ein AStA jenseits der verfassungsmäßigen Vorgaben einschränkend in die politische Meinungsbildung eingreift, wie dies im Fall der gbs-Hochschulgruppe Mainz geschehen ist.

Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Mainz stimmte daher der Klage der gbs-Hochschulgruppe in allen Punkten zu. In der rund 30-seitigen schriftlichen Urteilsbegründung (3 K 585/20.MZ) heißt es dazu:

  1. Es wird festgestellt, dass der Entzug der Registrierung der Klägerin als studentische Initiative für das Wintersemester 2019/2020 (…) rechtswidrig gewesen ist.
  2. Die Beklagte wird (…) verpflichtet, den Plenumsbeschluss des AStA vom 3. August 2017 aufzuheben.
  3. Der Bescheid vom 5. März 2020 (…) wird hinsichtlich des Widerrufs der Bewilligung eines Zuschusses zur Veranstaltung "Isch geh Bundestag – Vortrag mit anschließender Diskussion mit Philipp Möller" (…) aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Aufwendungen zu dieser Veranstaltung 380,80 € zu zahlen.
  4. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

  
Ein Urteil mit Signalwirkung

"Damit ist das Gericht unserer Klage in vollem Umfang gefolgt", erklärt Rechtsanwalt Eberhard Reinecke, der die gbs-Hochschulgruppe im Auftrag des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) und der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) vor Gericht vertreten hat. "Allerdings ist die Wirkung des Urteils nicht nur auf diesen konkreten Fall begrenzt. Die Entscheidung beweist nämlich, dass Betroffene sich erfolgreich wehren können, wenn öffentliche Einrichtungen die Meinungsfreiheit und die dafür unerlässliche Chancengleichheit einschränken."

Sehr zufrieden mit dem Urteil zeigen sich auch die Jurastudenten Einar Matthes und Marcus Licht von der gbs-Hochschulgruppe Mainz, die nach den mehrmaligen Versuchen der argumentativen Auseinandersetzung das Verfahren angestrengt und die Klageschrift juristisch ausgearbeitet hatten: "Die Diskussionen haben verdeutlicht, dass viele studentische Vertreter aus dem AStA ein fundamental anderes Verständnis von Meinungsfreiheit haben. Es ist offenbar ein Denksystem vorherrschend, das Personen nicht von Positionen trennen kann, das Meinungsvielfalt als potenzielle Gefahr begreift, unbequeme Ideen und Denker verdammt und all diejenigen, die sich nicht ohne jegliche Differenzierung distanzieren möchten, über ‚Kontaktschuld‘ ebenfalls zu ‚unerwünschten Personen‘ erklärt. Dass bei einer solchen Herangehensweise für die vermeintliche gute Sache auch ein Handeln außerhalb der gesetzlichen Regeln als legitim erachtet wird, wiegt umso schlimmer. Wir hätten den AStA sehr viel lieber mit unseren Argumenten überzeugt. Wenn sich aber die Gegenseite einer rationalen Debatte weitestgehend verschließt und obendrein rechtswidrig handelt, um abweichende Meinungen von vornherein zu unterdrücken, gibt es auf Dauer leider keinen anderen Weg als den der gerichtlichen Auseinandersetzung."

Dem stimmt gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon zu: "Das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz ist ein Sieg für die Streitkultur an deutschen Universitäten! Die Hochschulen sollten Orte der freien Debatte sein, keine geschlossenen Denkräume, in denen ‚gutmeinende‘ Inquisitoren vorgeben, was moralisch ‚schicklich‘ ist und was nicht. Wie wir gesehen haben, kann der universitäre Toleranzraum mitunter sehr klein sein. Das Bemerkenswerte an diesem Fall an der Uni Mainz ist ja, dass die gbs-Hochschulgruppe und der AStA weltanschaulich und politisch gar nicht so weit auseinanderlagen, der AStA aber durch das meinungsstarke Agitieren Einzelner zunehmend in den Modus des Hypermoralismus geriet, der keinerlei Abweichung vom vorgefassten Standpunkt mehr erlaubte. In früheren Zeiten war eine solch dogmatische Denkhaltung eher bei rechten Gruppierungen beheimatet, dass sie nun zunehmend ‚linke‘ Gruppen erfasst, ist eine bedenkliche Entwicklung, gegen die man rechtzeitig einschreiten sollte – notfalls auch mit dem Gang vors Gericht."

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