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Auch das Gesundheitsministerium sollte sich an geltendes Recht halten

Ifw-Kommentar zum Suizidbeihilfe-Gutachten von Udo Di Fabio

gbs-Kampagne zur Sterbehilfe (Foto: Evelin Frerk)

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gbs-Kampagne zur Sterbehilfe (Foto: Evelin Frerk)

Eigentlich müsste das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) Menschen in extremen Notlagen die Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zwecke der Selbsttötung erteilen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will das entsprechende Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom März 2017 jedoch nicht umsetzen. Zur Begründung hat das BfArM ein Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters Udo Di Fabio veröffentlicht, das empfiehlt, keine Erlaubnisse zu erteilen. Allerdings basieren die Empfehlungen des Gutachtens auf einer "wissenschaftlich unsauberen und tendenziösen Arbeitsweise", wie das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) in einem heute veröffentlichten Kommentar darlegt.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte kann spätestens seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2017 (Az.: 3 C 19/15) in extremen Notlagen die Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels (Natrium-Pentobarbital) zum Zwecke der Selbsttötung erteilen. Laut verschiedenen Medienberichte. lehnen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und BfArM-Leiter Karl Broich (CDU) die Umsetzung des Bundesverwaltungsgerichtsurteils jedoch entschieden ab. Nach mehreren Auskunftsersuchen veröffentlichte das Bundesinstitut am 15. Januar 2018 ein Rechtsgutachten des Ex-Verfassungsrichters Udo Di Fabio, um "die verfassungsrechtlichen Auswirkungen des Urteils und die Anforderungen an das künftige Verwaltungshandeln im BfArM" zu bewerten.

Di Fabio kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass das BVerwG-Urteil "verfassungsrechtlich nicht haltbar" sei. Er empfiehlt dem Bundesinstitut unter anderem, keine Erlaubnisse zu erteilen. Soweit ersichtlich dient das Auftragsgutachten als alleinige Grundlage für die fortdauernde amtliche Untätigkeit, noch über keinen der mehr als 80 Anträge auf eine Ausnahmegenehmigung zur Herausgabe des Medikaments entschieden zu haben. Dabei haben die Antragsteller beim BfArM einen rechtlichen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis zum Erwerb eines Betäubungsmittels zum Zwecke der Selbsttötung, wenn sie sich durch eine schwere und unheilbare Erkrankung in einer extremen Notlage befinden. Trotz des eindeutigen und rechtskräftigen BVerwG-Urteils verfolgt das BfArM eine juristische Hinhaltetaktik. Solange die anhängigen Untätigkeitsklagen gegen das BfArM von den zuständigen Verwaltungsrichtern nicht beschleunigt werden, wird das von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe öffentlich vorgegebene Ziel, keine Erlaubnisse auszustellen, auf zynische Weise in Etappen erreicht: Die ersten Antragssteller sind bereits verstorben.

    

Schlechte Noten für Di Fabio

Für das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) hat Jacqueline Neumann, wissenschaftliche Koordinatorin des ifw in Zusammenarbeit mit Ludwig A. Minelli, ifw-Beirat, Rechtsanwalt, Gründer der Schweizerischen Gesellschaft für die Europäische Menschenrechtskonvention (SGEMKO) und Gründer von "DIGNITAS - Menschenwürdig leben - Menschenwürdig sterben" das BfArM-Rechtsgutachten ausgewertet. Die wichtigsten Punkte sind:

  • Udo Di Fabio hat dem BfArM eine Fehldeutung des BVerwG-Urteils vorgelegt, indem er aus dem Urteil unzutreffend eine Verpflichtung des Staates zu aktiver Suizidbeihilfe konstruiert, wogegen er dann wortreich argumentiert. Rechtswissenschaftlich ist dies ein gänzlich fruchtloses Unterfangen, welches in weiten Bereichen von Politik und Medien seine Wirkung allerdings nicht verfehlt hat.
  • Das gesamte Gutachten durchzieht eine unzureichende Auseinandersetzung mit der grundrechtlichen Eingriffsdogmatik, dem Prinzip der Gewaltenteilung und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), sowie eine wissenschaftlich unsaubere und tendenziöse Arbeitsweise.
  • Das gewählte Beispiel der "Rettungsfolter", mit dem der Gutachter dem BVerwG-Urteil vermeintlich den verfassungsrechtlichen Todesstoß versetzt, ist bereits auf der Grundlage einer kurzen juristischen Kategorisierung als missglückt zu bewerten.
  • In dem Gutachten wird auf eine bestimmte Prägung ("christlich") sittlich-kultureller Würdevorstellungen der Gesellschaft abgestellt, welche einer staatlichen Erlaubniserteilung entgegenstünde. Jedoch beschreibt Di Fabio deren Charakteristika nicht hinreichend und behauptet deren Relevanz für die Rechtswirklichkeit nur, ohne sie mit empirischer Evidenz zu belegen. Es verwundert folglich nicht, dass Di Fabios Vorstellungen über die Identität der Gesellschaft und deren Würdevorstellungen sowie das Verhältnis der Gesellschaft zum Suizid an der Wirklichkeit in Deutschland völlig vorbeigehen. Die in dem Gutachten verbreitete Position ist seit Jahren sowohl in den Rechtswissenschaften (aktuell z.B. ifw-Beirat Reinhard Merkel am 15.02.2018 in der FAZ  "Gegenrede zu Di Fabio. Der Staat darf beim Suizid helfen") wie auch der Ärzteschaft (aktuell z.B. Uwe-Christian Arnold am 17.01.2018 im hpd "Di Fabios zynisches Gutachten") umstritten. Laut repräsentativer Umfrage befürworten 87 Prozent der Gesamtbevölkerung, dass jeder Mensch selber darüber bestimmen können sollte, wann und wie er sterben will. In derselben Befragung sprachen sich zudem 79 Prozent der Deutschen dagegen aus, dass Ärzten die Beihilfe zur willentlichen Beendigung des Lebens von Patienten die unheilbar schwer erkrankt sind, an schwerer Invalidität oder nicht beherrschbaren Schmerzen leiden, verboten werden soll. Weitere repräsentative Umfragen bestätigen dieses Bild der Rechtswirklichkeit, die gleichwohl vom Gutachten ausgeblendet wird.

  

Die BfArM-Praxis an der gültigen Rechtslage ausrichten

Bislang nutzt das Bundesinstitut ausschließlich das tendenziöse Rechtsgutachten von Di Fabio bei der öffentlichkeitswirksamen Interpretation des BVerwG-Urteils. Am heutigen Tag hat daher das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) dem BfArM das Recht erteilt, (kostenlos) den ifw-Kommentar im BfArM-Downloadbereich bereitzustellen. Damit erhält das Bundesinstitut die Möglichkeit, die eklatante Schieflage in der behördlichen Öffentlichkeitsarbeit auszugleichen und insbesondere die Weitergabe von juristischen Fehlinformationen an Politik und Medien zu beenden. Zudem bietet sich dem Institut die Gelegenheit, die hausinterne Antragsbearbeitung an der gültigen Rechtslage auszurichten. Denn es gibt keine rationalen, evidenzbasierten und weltanschaulich neutralen Gründe dafür, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts noch länger zu missachten.

  

Der vollständige Text des ifw-Kommentars zum Rechtsgutachten "Erwerbserlaubnis letal wirkender Mittel zur Selbsttötung in existenziellen Notlagen" von Prof. Udo Di Fabio für das BfArM ist hier abrufbar.