Zur Corona-Pandemie
Warum die Giordano-Bruno-Stiftung auf Statements zu COVID-19 verzichtet
Die Giordano-Bruno-Stiftung hat bereits vor zwei Wochen, also vor den entsprechenden administrativen Anweisungen, sämtliche Veranstaltungen bis in den Mai 2020 abgesagt. Intern beschäftigt sich die Stiftung intensiv mit der Pandemie, aufgrund der aktuell noch sehr unklaren Datenlage verzichtet sie jedoch auf weitergehende Statements. "Erforderlich ist jetzt eine seriöse transdisziplinäre Erforschung des Virus, seiner Verbreitung und seiner Folgen", sagt gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon, "kein weiteres Anheizen der Gerüchteküche."
Nachdem bei der Giordano-Bruno-Stiftung zahlreiche Anfragen eingegangen sind, warum sie sich als "Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung" nicht zu COVID-19 äußere, und nachdem die große Schweizer Boulevardzeitung "Sonntagsblick" die Absage eines Interviews durch gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon zum Aufhänger des Editorials der gestrigen Ausgabe gemacht hatte, erklärte der Philosoph seine Haltung, die auch die derzeitige Stiftungspolitik bestimmt, folgendermaßen:
Ich werde immer wieder gefragt, warum ich mich zur Corona-Pandemie nicht öffentlich äußere. Die Antwort lautet: Ich sehe mich außer Stande, irgendetwas Substanzielles zu dieser Krise zu sagen, solange die Datenlage so lückenhaft und widersprüchlich ist, wie sie sich im Moment darstellt. Solange wir nicht wissen, wie viele Menschen tatsächlich mit SARS-CoV-2 infiziert (und eben nicht bloß als "Corona-Fälle" registriert) sind, und solange unbekannt ist, wie viele dieser tatsächlich Infizierten gar keine Symptome ausbilden (also gar nicht an COVID-19 erkranken, das Virus aber angeblich übertragen), wie viele dieser tatsächlichen Infektionsfälle einen milden, einen schweren, einen sehr schweren oder gar tödlichen Krankheitsverlauf aufweisen, stochern wir allesamt im Nebel und all die bunten Kurven und Grafiken vermitteln uns nur den Anschein einer Exaktheit, die durch die Datenlage nicht gedeckt ist.
Ich beneide die Politikerinnen und Politiker nicht, die auf der Basis derart unsicherer und dynamischer Prognosen schwerwiegende Entscheidungen treffen müssen. Was ich von ihnen jedoch erwarten würde, wären Aussagen darüber, was nach dem (für die Abflachung der Infektionskurve und die Sicherung des Gesundheitssystems wohl sinnvollen) Lockdown passieren soll, den wir aus sozialen, ökonomischen und politischen Gründen nicht über Monate hinweg aufrechterhalten können. Klar ist: Wir müssen die Atempause, die uns der Lockdown verschafft, intensiv dazu nutzen, um a) die wissenschaftliche Faktenlage auf der Basis eines transdisziplinären Ansatzes (also nicht nur aus der Sicht von Virologen und Epidemiologen) zu klären, b) die medizinische Forschung im Bereich der Diagnose und Therapie voranzutreiben, c) die medizinischen Kapazitäten auszubauen und vor allem d) effektive Schutzmaßnahmen für die Risikogruppen vorzubereiten.
Wir sollten uns in diesem Zusammenhang auch bewusst machen, dass die moralistische Frage "Geld oder Leben?" falsch gestellt ist, denn wenn das Wirtschaftssystem zusammenbricht, ist auch das Gesundheitssystem nicht mehr aufrechtzuerhalten. Sollte das internationale Finanzsystem (das ohnehin auf wackligen Füßen steht) kollabieren, wären die Folgen für Abermillionen Menschen katastrophal. Verantwortlich für eine solche globale Katastrophe wäre dann allerdings nicht allein SARS-CoV-2, sondern unsere Unfähigkeit, rational und evidenzbasiert auf diese Herausforderung zu reagieren.