Steffen, Herbert
Herbert Steffen, ehem. Unternehmer und Gründer der Giordano-Bruno-Stiftung (gest. 2022)
Herbert Steffen, 1934 in Mastershausen/Hunsrück geboren, studierte Betriebswirtschaft an der Universität Köln. 1969 übernahm er die Geschäftsführung der Firma "Steffen Möbel", die er zu einem der leistungsfähigsten Anbieter von Schlafraummöbeln in Deutschland ausbaute. 1973 führte er die betrieblichen Gewinnbeteiligung für die Mitarbeiter ein, 1990 ging die Steffen AG an die Börse.
Ende der 90er Jahre schied Herbert Steffen aus der Firma aus. Steffen, ehemals Mitglied des Diözesanrates der Diözese Trier, trat nach seinem Kirchenaustritt verstärkt als Mäzen hervor, u.a. für den Schriftsteller und Kirchenkritiker Karlheinz Deschner. 1994 wurde er mit dem "Bundesverdienstkreuz am Bande" der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. 2004 gründete er zusammen mit Michael Schmidt-Salomon die Giordano-Bruno-Stiftung, die er seither als 1. Vorsitzender leitet.
2012 wurde Herbert Steffen für sein Engagement für Humanismus und Aufklärung mit dem "Ludwig-Feuerbach-Preis" des bfg Augsburg ausgezeichnet (hier die Laudatio auf den Preisträger von Gerhard Czermak). 2022 veröffentlichte er seine Autobiografie "Mein langer Weg vom Paulus zum Saulus". Am 18. November 2022 starb Herbert Steffen im Alter von 88 Jahren, siehe den Nachruf seines Freundes und Wegbegleiters Michael Schmidt-Salomon "Das Ende einer Ära".
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Interview mit Herbert Steffen (1994)
Aus: Die Freuden der Aufklärung. Interview mit dem deutschen Unternehmer Herbert Steffen. In: Gieselbusch, Herrmann (Hrsg.): Karlheinz Deschner. Leben, Werke, Resonanz. Rowohlt-Verlag, Reinbek 1994; S.20-27.
Herr Steffen, was motiviert einen Unternehmer aus dem erzkatholischen Hunsrück, ausgerechnet den Kirchen- und Religionskritiker Karlheinz Deschner mäzenatisch zu fördern?
Steffen: Die finanziellen Mittel kommen vom Unternehmer. Das Motiv kommt aus meiner Lebensgeschichte als denkender Mensch im katholischen Hunsrück.
Wie fing sie an, Ihre „Geschichte als denkender Mensch“?
Steffen: Ich bin durch neun Jahre katholische Internatserziehung in der Eifel geprägt - wie mein Bruder, dessen Banknachbar übrigens Oskar Lafontaine hieß. Mein Bruder schlug die geistliche Laufbahn ein, er hat schon die Diakonweihe gehabt, dann aber das Handtuch geworfen. Und auch ich war schon angemeldet in Trier im Priesterseminar.
Warum sind Sie nicht hingegangen?
Steffen: Weil ich wohl ein radikaler Typ bin. Als Priester wäre ich zu hundertprozentiger Nachfolge Jesu verpflichtet gewesen. Aber ich litt darunter, dass ich das nicht schaffte. Von gut oder schlecht war in der Kirche ja nie die Rede. Das Entscheidende war die Sünde. Ich hatte ein grausam ausgeprägtes Sündenbewusstsein. Die Nachfolge Christi nicht erfüllen zu können, das hat mich viele, viele Jahre arg in Bedrängnis gebracht. Ich hielt mich immer an das Bibelwort: „Weil du lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.“ Das sagt Christus. Und das ist eigentlich auch meine Grundeinstellung. Mein ganzes Leben lang mache ich keine halben Sachen. Entweder warm oder kalt, aber nie lau. Hundert Prozent oder Null. Ganz klar, dass ich so kein Priester werden konnte.
Sie blieben ein Weltmensch.
Steffen: Das ging nicht über Nacht, sondern hat mich Jahre gekostet. Erst waren da Zweifel, die mich immer aussichtsloser in eine Konfliktsituation brachten. Ein Buch nach dem andern habe ich damals gelesen, noch vor meinem ersten Deschnerbuch. Allmählich ging mir auf, dass die Wurzeln unsres Glaubens fingiert sind, dass es wirklich keinen Gott gibt, jedenfalls kein Geistwesen, das sprechen und hören kann, kein ordnendes Wesen „hinter“ dem Universum. Wenn's aber keinen persönlichen Gott gibt, gibt's auch keine Sünde. Meine Frau kann's bestätigen: Ich bin eigentlich erst richtig Mensch geworden, als ich erkannt hatte, dass meine Konfliktsituation künstlich her- beigezaubert worden war von der Kirche. Das hat mich plötzlich frei gemacht.
Frei in welchem Sinne?
Steffen: Zunächst einmal ganz praktisch durch meinen Kirchenaustritt. Ich erklärte diesen Austritt, und sofort wurde das nach Trier zum Bischof gemeldet. Bei mir war ja schon ein bisschen Kirchensteuer dahinter. Normalerweise wird der Ortspfarrer angewiesen, in solchen Fällen das verlorene Schäfchen wieder zur Herde zurückzuholen. Das hat man bei mir gar nicht erst versucht. Der Ortspfarrer hielt aber seine nächste Silvesterpredigt zum Thema „Judas, der Verräter“, der für dreißig Silberlinge den Heiland im Stich lässt. Und alle haben gewusst, wer gemeint war. Das wurde mir dann natürlich sofort erzählt. Was glauben Sie, was es hier in katholischen Kreisen für Meinungen gibt! Einige haben gesagt: "Du bist nicht mehr in der Kirche drin. Du bist sogar Atheist. Da wirst du ja jetzt ein richtiger Menschenverächter, wirst über Leichen gehen!"
Wann war das ?
Steffen: Vor zehn, elf Jahren.
Wie sind Sie auf Deschner gestoßen?
Steffen: Sie werden lachen. Ich komme ja neben meinem Job fast gar nicht zum Lesen. In meinen Betrieben arbeiten zweitausend Leute. Für Bücher bleibt mir da keine Zeit. Also nehme ich mir immer Bücher in den Urlaub mit. So auch damals, es war wohl 1987, als ich mit meiner Frau in die Südsee gereist bin.
Sie haben Deschner in der Südsee kennengelernt?
Steffen: Ja, auf Tahiti. Wir lebten in einem typischen Südseebungalow mitten in einer blauen Lagune. Es gab einen Steg zum Land. Unsere Hütte war luxuriös: vollklimatisiert, internationales Telefon, das Essen wurde uns von den schönen Menschen dort aus dem Boot serviert. Ein Paradies, wirklich. Und statt ins Wasser zu springen und das Paradies auszukosten, sitze ich die ganze Zeit und lese Deschner. Ein Buch nach dem andern. Meine Frau hätte mich am liebsten umgebracht. Aber es war bei mir eine verrückte Sucht, bis ich die Bücher aushatte. Ich hab sogar meinen Schwager hier in Deutschland angerufen: „Jetzt kauf mir noch das Buch und das Buch und schick’s mir per Luftpost sofort noch runter.“
Woher kam diese Sucht? Sie hatten sich doch schon vorher vom Glauben befreit und waren aus der Kirche ausgetreten.
Steffen: In Deschners Büchern hat mich immer wieder diese Radikalität aufgewühlt. Weil mir dadurch immer klarer bewußt wurde, wie belogen und betrogen ich in meinem früheren Leben gewesen war und was die Kirche, die die reine Lehre und nur Liebe und Güte predigt und den Menschen Frieden verheißt und Trost und Erlösung, was diese Kirche wirklich angerichtet hat. Wenn man bei Deschner liest, was für eine Masse an Material er zu bieten hat, und wenn man das ernst nimmt, dann könnte man ja verrückt werden bei all dem, was in der Kirchengeschichte unsere Vorfahren erleiden und erdulden mussten. Deschners Bücher haben mich sehr tief berührt, weil ich nämlich auch ein Extremist bin. Damals, in meiner echten Glaubenszeit, hätte ich jeden Glaubenskrieg mitgeführt. Ich wäre vorne mit der ersten Fahne gegangen, und mit dem ersten Schwert hätte ich gekämpft. Heute bin ich auf der Gegenseite. In keinen Krieg würde ich mehr ziehen. Keinem andern Menschen würde ich für irgendeine Überzeugung auch nur irgend etwas Übles zufügen. Also da haben wir, der Deschner und ich, sehr viel Wesensverwandtheit miteinander. Seine Bücher haben mich genau da getroffen, wo ich zu treffen bin. Das Wichtigste im Leben ist für mich: Gerechtigkeit. Wie Deschner kann ich auch vor allen Dingen eins nicht leiden: wenn jemand unterdrückt wird. Sooft ich ein Deschnerbuch gelesen habe, möchte ich am liebsten meinen Job an den Nagel hängen und , nach dem Motto Voltaires vorgehen: écrasez l'infame! Aber ich habe Pflichten hier in meinem Laden, ich fühle mich verantwortlich, dass es hier weiter Arbeit gibt.
Sie würden also am liebsten selber für mehr Gerechtigkeit und gegen Unterdrückung kämpfen.
Steffen: Vielleicht geh ich ja später mal in die Politik. Ich habe an mir selber erlebt, wie enorm mein Leben an Qualität gewonnen hat, seitdem ich diesen Seelenballast von Sünde, Schuld und Strafe über Bord geworfen habe. Ich habe die Freuden der Aufklärung selber erlebt. Meinen Mitarbeitern habe ich allen schon mindestens ein Deschnerbuch geschenkt. Mit wenig Resonanz. Hat mich keiner angesprochen darauf. Die Mehrzahl hat's wahrscheinlich nicht gelesen. Naja. Es ist ja auch für die meisten nicht ohne Risiko.
Haben Sie Nachteile erfahren?
Steffen: Nein. Aber nur, weil meine wirtschaftliche Position zu stark war, haben sie sich nicht rangetraut an mich. Sonst... Ja, was aber kann ich in meiner Lage tun ? Ich zahle keine Kirchensteuer. Gut. Aber nicht, um die dreißig Silberlinge selber zu behalten. Also habe ich hier und da auf lokaler und regionaler Ebene gesponsert.
Und wie kam es zu Ihrem Engagement für Deschner?
Steffen: Als ich das erste Buch von ihm gelesen hatte, damals auf Tahiti - es war „Abermals krähte der Hahn“ -, da hab ich gespürt: Diesen Mann musst du kennenlernen!
Und wie haben Sie ihn kennengelernt?
Steffen: Das war gar nicht so einfach. Aus guten Gründen lebt Deschner sehr zurückgezogen. Und der Rowohlt-Verlag hat den Datenschutz eingehalten, hat die Adresse und die Geheimnummer seines Telefons nicht rausgerückt. Irgendwann wusste ich dann: Haßfurt. Und da hab ich mich am nächsten Tag ins Auto gesetzt und bin hingefahren. Bin an die Tür und hab geklingelt. „Ja bitte? Was wollen Sie?“ hat er mich gefragt. „Herr Dr. Deschner“, habe ich gesagt. „Ich hab ein Buch von Ihnen gelesen. Ich möchte Sie kennenlernen.“ Er sehr kühl: „Tut mir leid. Aber ich empfange hier keine Besucher. Das geht nicht“ und hin und her. Aber da bin ich ja penetrant. Ich habe auf ihn eingeredet wie ein Vertreter, eine Viertelstunde lang. Am Anfang hat er noch gesagt: „Ich weiß ja nicht, was Sie für einer sind. Mir werden viele auf den Hals gehetzt.“ Aber ich habe ihn dann doch irgendwann überzeugt, dass ich's ehrlich meine. Endlich hat er mich reingelassen. Wir waren dann den ganzen Nachmittag zusammen. Er nahm sich sogar viel Zeit für mich.
Worüber haben Sie gesprochen?
Steffen: Erst über sein Buch, den „Hahn“, der mich so aufgewühlt und mir auch bestätigt hatte, dass unser Glaubensfundament überhaupt kein Fundament ist, sondern ein Luftschloss. Und dann hab ich ihm meine religiöse Entwicklung geschildert, diesen Konflikt, den ich erst so spät in meinem Leben aufbrechen konnte.
Wie ging es weiter?
Steffen: Wir haben uns dann öfter gesehen. Meist bin ich zu ihm gefahren. Wir telefonieren auch. Neuerdings etwa einmal im Monat.
Worüber?
Steffen: Über Gott und die Welt. Auch Politisches. Auch Persönliches. Wir sind Duzfreunde geworden. Ein Thema ist - er wird jetzt siebzig -: Wie viele Bände schaff ich noch? Die „Kriminalgeschichte des Christentums“ hat den höchsten Stellenwert. Auch für ihn selbst. Er will diese Arbeit so weit wie möglich nach vorne bringen. Jetzt erscheint Band vier. Sechs sollen folgen. Wenn man es realistisch sieht, muss er schon sehr alt werden und vor allem in dieser geistigen Frische bleiben. Bis jetzt sind wie viele Seiten erschienen?
Über zweieinhalbtausend.
Steffen: Durch vier, macht sechshundert Seiten pro Band. Also stehen noch dreitausendsechshundert Seiten aus bis zum Schluss. Vierzig Prozent liegen jetzt vor. Aber vor Deschner liegen noch sechzig Prozent. Und das ist ja eine Sisyphusarbeit. Verrückt! Ich traue ihm viel zu. Er ist ein unglaublicher Schaffer. Wir denken gemeinsam darüber nach, was er delegieren kann, um sich ganz auf die kreative Seite zu konzentrieren. Was ich tun kann, was er mich tun lässt, um ihm die große Arbeit möglichst zu erleichtern, das tue ich. Nach dem zitierten Bibelwort: bei der Förderung der „Kriminalgeschichte des Christentums“ bin ich bestimmt nicht kalt, bin nicht lau, aber auch nicht nur warm, sondern bin ich heiß.
Die Fragen stellte Hermann Gieselbusch