Newsletter vom 12.4.2021
Inhalt:
- Ein Geldstapel höher als der Mount Everest: Die Debatte über die Ablösung der Staatsleistungen wird von Kirchenlobbyisten bestimmt
- Ein Sieg für die Meinungsfreiheit: Amed Sherwan gewinnt Rechtsstreit gegen Facebook/Instagram
- »Kinderrechte ins Grundgesetz – aber richtig!«: Gemeinsamer Appell von 100 Organisationen an die Politik
- Kurz notiert: Hängemattenbischof in den internationalen Medien / HAI-Interview mit Philipp Blom / Adolf Eichmann oder der Wille zur Ohnmacht / Veranstaltungsreihe "Vom Reiz des Übersinnlichen"
- Empfehlenswerte Literatur
- Die nächsten Termine
Ein Geldstapel höher als der Mount Everest
Die Debatte über die Ablösung der Staatsleistungen wird von Kirchenlobbyisten bestimmt
Am heutigen Montag findet im Innenausschuss des Bundestags eine Anhörung über den Gesetzentwurf zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen statt. Die dazu eingeladenen Sachverständigen stehen entweder in enger Beziehung zu den Kirchen oder plädieren für hohe Entschädigungsleistungen des Staates. Dagegen richtet sich nun der Protest säkularer Organisationen.
Seit 1919 steht der Auftrag der Ablösung der sogenannten "historischen Staatsleistungen" an die Kirchen in der deutschen Verfassung. Doch dazu ist es bislang noch nicht gekommen. Vielmehr flossen seither allgemeine Steuergelder in Höhe von rund 20 Milliarden Euro, also 20.000 Millionen Euro, an die beiden christlichen Großkirchen. gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon verdeutlicht diese Summe anhand eines Vergleichs: "Wenn man diese 20 Milliarden Euro in 100-Euro-Scheinen (Dicke: 0,1 mm) aufeinanderstapeln würde, ergäbe dies einen Geld-Turm in Höhe von 20 Kilometern. Und sollten die Kirchen nach dem aktuellen Gesetzesvorschlag weitere 10 Milliarden Euro als Ablösesumme erhalten, so hätte der deutsche Staat ihnen einen 100-Euro-Stapel überlassen, der dreimal höher ist als der Mount Everest. Warum sollten die deutschen Steuerzahler*innen dies klaglos hinnehmen?"
Lesen Sie weiter auf der gbs-Website...
Ein Sieg für die Meinungsfreiheit
Amed Sherwan gewinnt Rechtsstreit gegen Facebook/Instagram
Der im März erlassene Beschluss des Landgerichts Flensburg im Rechtsstreit zwischen Amed Sherwan und "Facebook Limited" setzt ein klares Zeichen für Meinungsfreiheit und gegen das unberechtigte Löschen von Inhalten auf Instagram und Facebook. "Scheinbare" Verstöße gegen die "Gemeinschaftsregeln" reichen, so die Richter, nicht aus, um Posts zu löschen oder Profile zu deaktivieren. Eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen.
Auslöser des Rechtsstreits war eine Fotoserie, die einen angedeuteten Kuss zwischen Amed Sherwan und dem ägyptischen Atheisten Mohamed Hisham vor verschiedenen Hintergründen zeigt, etwa vor dem Petersplatz in Rom oder der Kaaba in Mekka. Während die anderen Motive eher Erheiterung hervorriefen, sorgte das Bild vor der Kaaba für einen gewaltigen Shitstorm, bei dem zahlreiche Kritiker vor offenen Morddrohungen nicht zurückschreckten. Allerdings wurden nicht diese Drohungen gelöscht, sondern vielmehr das Instagram-Profil von Ahmed Sherwan gesperrt sowie zeitweilig auch dessen Facebook-Account.
Die Giordano-Bruno-Stiftung und das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) haben den Rechtsstreit von Amed Sherwan unterstützt und neben der "Initiative für Meinungsfreiheit im Netz" einen erheblichen Teil der Kosten übernommen, um damit einer gefährlichen Entwicklung entgegenzuwirken. Denn schon seit geraumer Zeit versuchen islamistische Netzwerke, kritische Stimmen in den sozialen Netzwerken mundtot zu machen. Darunter fallen nicht nur Morddrohungen und Beleidigungen, sondern auch gezielte Meldeaktionen, die zur Sperrung von Profilen führen. Betroffen sind davon insbesondere Accounts von Ex-Muslimen und Islamkritikern.
Weitere Infos auf der gbs-Website...
»Kinderrechte ins Grundgesetz – aber richtig!«
Gemeinsamer Appell von 100 Organisationen an die Politik
Ende März fand im Bundesrat die 1. Lesung des Gesetzentwurfs zur Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz statt. Aus diesem Anlass hat ein Bündnis von mehr als 100 Organisationen einen gemeinsamen Appell veröffentlicht, der den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf als unzureichend kritisiert. Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs zählen neben dem Deutschen Kinderhilfswerk, UNICEF Deutschland und dem Kinderschutzbund die Giordano-Bruno-Stiftung sowie der Humanistische Verband Deutschlands.
Der Philosoph und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon erklärte dazu: "Wir fordern die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung schon seit vielen Jahren. Dass es nun endlich dazu kommt, ist zunächst einmal ein Erfolg. Erstmals sollen Kinder nun explizit als eigenständige Rechtssubjekte im Grundgesetz genannt werden – statt wie bisher als bloße Rechtsobjekte, die der Verfügungsgewalt der jeweiligen Erziehungsberechtigten unterliegen. Was Letzteres im schlimmsten Fall bedeuten kann, hat das verheerende Ausmaß an sexueller, physischer und psychischer Gewalt gezeigt, unter der Heim- und Internatskinder über Jahrzehnte in staatlichen und kirchlichen Institutionen leiden mussten. Damit es nie wieder zu solchen Formen der 'schwarzen Pädagogik' kommt, ist eine verfassungsrechtliche Aufwertung des Kindes notwendig, allerdings muss sie in angemessener Form erfolgen – und hier gibt es im vorgelegten Gesetzentwurf der Bundesregierung noch dringenden Nachbesserungsbedarf!"
Weiterlesen auf der gbs-Website...
Kurz notiert
Hängemattenbischof in den internationalen Medien: Innerhalb weniger Wochen hat die gbs mit Aktionen vor dem Kölner Dom gleich zwei Mal für Medienrummel gesorgt. Schon der "Eichelbischof" ("Das Kernproblem der katholischen Kirche") landete in vielen Zeitungen und Nachrichtensendungen. Der "Hängemattenbischof" ("Die schonungslose Aufarbeitung des Missbrauchsskandals") konnte dies jedoch noch einmal toppen und im internationalen Maßstab die Aufmerksamkeit auf die Anliegen der Menschen lenken, die sexuelle Gewalt durch katholische Priester und Ordensleute erleiden mussten. Die von gbs-Beirat Jacques Tilly geschaffene Skulptur erschien nicht nur in den "Tagesthemen" und im "heute-Journal", sondern schmückte weltweit die Schlagzeilen - vom englischen "Guardian", der US-amerikanischen "Washington Post" und der kanadischen "Seattle Times" bis hin zur thailändischen "Bangkok Post", der indonesischen "Jakarta Post", dem chinesischen Magazin "Shine", dem japanischen Magazin "Mainichi" oder dem argentinischen Magazin "Clarin". Entsprechend positiv fiel die Bilanz aus, die gbs-Mitarbeiter David Farago, der die Aktionen vor dem Kölner Dom leitete, auf dem Portal des Humanistischen Pressedienstes (hpd) zog.
HAI-Interview zum Klimawandel mit Philipp Blom: Bei der globalen Klimakatastrophe steht nicht weniger als der Fortbestand der menschlichen Zivilisation auf dem Spiel, schreibt der Philosoph und Historiker Philipp Blom (gbs-Beirat) in seinem Essay "Das große Welttheater". Im Interview mit Florian Chefai (Direktoriumsmitglied des Hans-Albert-Instituts) erklärt er, wieso wir nur überleben werden, wenn wir uns nicht länger als "Krone der Schöpfung" verstehen, sondern als eine Primatenart, die vom Aussterben bedroht ist.
Adolf Eichmann oder der Wille zur Ohnmacht: Vor 60 Jahren wurde in Jerusalem der Prozess gegen Adolf Eichmann eröffnet. In seinem Buch "Jenseits von Gut und Böse" hat sich Michael Schmidt-Salomon ausführlich mit der Biografie Eichmanns beschäftigt. Besondere Aufmerksamkeit widmete er dabei dem "esoterischen Glaubensbekenntnis", das der "Spediteur des Todes" in seiner (weithin unbekannten) 660-seitigen Autobiografie "Götzen" entwickelte. Denn ohne Kenntnis dieses speziellen Glaubenssystems, so der Philosoph in einem aktuellen Blogbeitrag, sei nicht nachvollziehbar, warum Eichmann einerseits die Ermordung der Juden als "das kapitalste Verbrechen in der Menschheitsgeschichte" beschrieb, andererseits jedoch als einer der Hauptverantwortlichen des Holocaust jede subjektive Verantwortung abstritt.
Veranstaltungsreihe "Vom Reiz des Übersinnlichen": Wissenschaftliche Erkenntnis und soziale Praxis gehen nicht immer Hand in Hand. Im Gegenteil: Oft werden Vorstellungen und empirische Befunde ignoriert. Was daraus resultiert, ist häufig skurril und manchmal sogar schädlich. Da hilft nur das Prinzip der kritischen Prüfung – sei es in der Psychologie, in der Wissenschaft, im Personalmanagement oder bei der Beurteilung allgegenwärtiger Verschwörungsmythen. Zu den Themen referieren renommierte Expert*innen in der Reihe "Vom Reiz des Übersinnlichen", die von "Kortizes" in Kooperation mit der gbs ausgerichtet wird.
Empfehlenswerte Literatur
Andreas Altmann: Gebrauchsanweisung für Heimat. Piper 2021. "Mein Hauptwohnsitz ist die deutsche Sprache, nebenbei wohne ich in Paris", schreibt gbs-Beirat Andreas Altmann in seinem aktuellen Buch. Diese besondere Liebe zur Sprache leuchtet in jeder Zeile dieser "Gebrauchsanweisung für Heimat" auf, allerdings auch die Liebe zu den Menschen, die Altmann in den 20 Kapiteln seines Textes portraitiert. Wer bereits die vorangegangenen "Gebrauchsanweisungen" des Autors für "die Welt" und "das Leben" verschlungen hat, wird sich auch für das neue Buch begeistern. Das brillant formulierte Werk eines "Weltbürgers", der aus der Enge seines Heimatdorfes fliehen musste, um zu erkennen, dass er in der ganzen Welt zu Hause ist. (Verlags-Website zum Buch)
Alex Baur: Unerhört. Esther Vilar und der dressierte Mann. Elster & Salis 2021. Esther Vilars Buch "Der dressierte Mann" ist ein millionenfach verkaufter Weltbestseller, der die Gemüter erregte wie kaum ein anderes Buch der 1970er Jahre. Alex Baur macht die damaligen Debatten für heutige Leserinnen und Leser verständlich, indem er sie geschickt in den historischen Kontext einbettet. Kenntnisreich und mit großem Sprachgefühl schildert er den bewegten Lebensweg der streitbaren Schriftstellerin (und gbs-Beirätin), die sich beherzt nicht nur in die feministische Debatte eimischte, sondern auch für die radikale Kürzung der wöchentlichen Arbeitszeit stritt, die in ihren Sachbüchern den "betörenden Glanz der Dummheit" und die "Schrecken des Paradieses" auf den Punkt brachte und mit ihren Theaterstücken, u.a. "Speer" (mit Klaus Maria Brandauer in der Titelrolle) und "Die Antrittsrede der amerikanischen Päpstin", internationale Erfolge feierte. Ein faszinierendes Buch über eine in vielerlei Hinsicht außergewöhnliche Frau, die in ihren Werken niemals "universelle Wahrheiten" verkünden wollte, sondern konsequent an das eigenständige, kritische Denken appellierte. (Verlagswebsite zum Buch)
P.S. Lohnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Lektüre der Autobiografie von Alice Schwarzer (Alice Schwarzer: Lebenswerk. KIWI 2020), mit der sich Esther Vilar einst ein legendäres Fernsehduell lieferte. Liest man beide Bücher nebeneinander, fällt auf, dass Schwarzer und Vilar (trotz ihres sehr unterschiedlichen Blicks auf die Geschlechterverhältnisse) in erstaunlich vielen politischen Zielen übereinstimmen (etwa im Hinblick auf die Durchsetzung des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung und Schwangerschaftsabbruch). Auch auf weltanschaulichem Gebiet scheinen die beiden Kontrahentinnen nicht allzu weit auseinanderzuliegen: So zählten sowohl Alice Schwarzer als auch Esther Vilar zu den Unterstützerinnen des 2021 von der gbs mitgegründeten Bertha von Suttner-Studienwerks.
Naila Chikhi / Rebecca Schönenbach: Ich will frei sein, nicht mutig. FrauenStimmen gegen Gewalt. Alibri 2021. "Ein Staat, der Frauen auf Grund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- und Herkunftsgruppe nicht vor Gewalt schützt, handelt rassistisch", schreibt Mitherausgeberin Rebecca Schönenbach in ihrem Beitrag - und wendet sich damit gegen die als "antirassistisch" etikettierte "Tabuisierung von Religionskritik zu Lasten der Opfer von religiös motivierter Gewalt". Die Autorinnen des vorliegenden Sammelbandes stammen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen, haben unterschiedliche weltanschauliche Überzeugungen und sexuelle Orientierungen, aber sie stimmen überein in ihrer Kritik an Islamisten, Rechtspopulisten sowie identitären Linken und Feministinnen, die allesamt vermeintliche "Gruppeninteressen" fokussieren und die individuellen Menschenrechte, insbesondere die Freiheitsrechte von Frauen, ignorieren. Ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Debatte, der von den dramatischen Ereignissen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2015/2016 ausgelöst wurde, aber inhaltlich weit darüber hinausweist! (Verlagswebsite zum Buch)
John Stuart Mill / Harriet Taylor Mill: Die Unterwerfung der Frauen. Übersetzt und herausgegeben von Dieter Birnbacher. Reclam 2020. Der 1869 erschiene Essay "The Subjection of Women", der im 19. Jahrhundert durch sein entschiedenes Plädoyer für das Wahlrecht der Frau Empörung auslöste, zählt zu den großen Klassikern der feministischen Literatur. Irritierenderweise wurde das Werk im Deutschen unter dem missverständlichen Titel "Die Hörigkeit der Frau" herausgebracht (als sei "Hörigkeit" eine genuine Eigenschaft des weiblichen Geschlechts). Mit seiner Neuübersetzung stellt gbs-Beirat Dieter Birnbacher klar, was mit "Subjection" tatsächlich gemeint war. Man merkt der flüssigen Übersetzung wie auch dem instruktiven Nachwort an, wie intensiv sich Birnbacher mit den Anschauungen des unorthodoxen Ehepaars John Stuart und Harriet Taylor Mill auseinandergesetzt hat. Empfehlenswert! (Verlagswebsite zum Buch)
Alfred Binder: Nichts mehr sein müssen. Lebenskunst und Anerkennungskampf. Alibri 2020. Unser Leben ist von der Anstrengung bestimmt, mehr sein, mehr leisten, um mehr Anerkennung kämpfen zu müssen. Doch lohnt sich das überhaupt? Macht uns dieser Anerkennungskampf zu glücklichen Menschen? Alfred Binder verneint dies und rät dazu, unsere "Ichbezogenheit" radikal zurückzunehmen. Dabei geht er andere Wege als Michael Schmidt-Salomon in "Entspannt euch!" (Piper Verlag 2019), gelangt aber letztlich zum gleichen Ziel: Wer gelernt hat, nichts mehr sein zu müssen, findet zu einer heiteren, gelassenen Lebenseinstellung, mit der man selbst krisenhafte Ereignisse besser meistern kann. (Verlagswebsite zum Buch)
Ralf König: Vervirte Zeiten. Rowohlt 2021. In der Corona-Krise ist vielen allmählich das Lachen vergangen - nicht jedoch gbs-Beirat Ralf König. Nach dem Lockdown im März 2019 erfreute der Zeichner seine Fans auf Facebook täglich mit neuen lustigen Comics, die zeigten, wie das legendäre Paar "Konrad und Paul" die Krise übersteht. Nun sind die Geschichten bei Rowohlt in Buchform erschienen. Reale Treffen mit Freundinnen und Freunden können die Comics mit Konrad und Paul natürlich nicht ersetzen, doch mit diesem Buch in der Hand fällt es eindeutig leichter, diese hoffnungslos "vervirten Zeiten" zu ertragen. (Verlagswebsite zum Buch)
Die nächsten Termine
Die Termine der nächsten Wochen finden Sie, wie immer, im gbs-Terminkalender.
Mit freundlichen Grüßen
Das gbs-Newsletter-Team