150 Jahre Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs
Bundesweite Proteste am 15. Mai 2021
Am 15. Mai 1871 wurden die Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch im Reichsstrafgesetzbuch verabschiedet. Noch heute gelten Schwangerschaftsabbrüche nach §218 StGB als Straftat – eine Regelung, die Frauen entmündigt und ein gesellschaftliches Tabu geschaffen hat. Daher fordert die Giordano-Bruno-Stiftung zusammen mit weiteren 120 Organisationen eine grundlegende Reform der gesetzlichen Bestimmungen: "Die Paragraphen 218 bis 219a des Strafgesetzbuchs verletzen nicht nur die Würde der Frau, sondern verstoßen zudem gegen das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates!", heißt es dazu aus dem gbs-Vorstand.
Mit einem bundesweiten Aktionstag am 15. Mai will die Kampagne "150 Jahre Widerstand gegen §218 - Es reicht!" auf dieses "in Paragraphen gegossene Unrecht" und die damit einhergehende immer schlechter werdende medizinische Versorgung von ungewollt Schwangeren aufmerksam machen. In über 30 Städten setzen Aktivist*innen und Organisationen um den 15. Mai ein Zeichen für die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Die Aktionsformen sind vielfältig – trotz Pandemie: In Berlin bilden die Aktivist*innen und Freund*innen vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und dem Netzwerk Frauengesundheit Berlin am 15. Mai ab 11 Uhr eine Menschenkette rund um das Berliner Reichstagsgebäude. Von Kundgebungen und Demonstrationen in Stuttgart und Frankfurt über Onlineformate wie Filmvorführungen mit Podiumsdiskussion in Hannover bis hin zu Guerilla-Aktionen, die das Stadtbild von Mainz und Marburg verschönern, ist alles dabei. Sämtliche Termine rund um dem 15. Mai sind auf der zentralen Kampagnen-Website zu finden.
Getragen wird die Aktion "150 Jahre Widerstand gegen §218" von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis, dem sowohl Fachverbände wie pro familia, der Bundesverband der Frauengesundheitszentren, die Doctors for Choice oder die Deutsche Aidshilfe angehören als auch Parteigruppierungen der Grünen, der Linken und der SPD sowie säkulare Organisationen wie die gbs und der HVD. Zwar gibt es bei den einzelnen Unterstützerinnen und Unterstützern im Detail durchaus unterschiedliche Einschätzungen, Ines Scheibe vom "Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung" bringt den Grundkonsens der Beteiligten aber gut auf den Punkt: "Der Schwangerschaftsabbruch ist eine Gesundheitsleistung, die für die Selbstbestimmung elementar ist und im Strafgesetzbuch nichts zu suchen hat! Wir fordern eine Absicherung dieses Rechts, statt einer grundsätzlichen Kriminalisierung, die zu Stigmatisierung und einer immer schlechter werdenden medizinischen Versorgung führt.”
»Ein Relikt des obrigkeitsstaatlichen Denkens"
"Wir unterstützen die Forderung der Frauenbewegung nach Abschaffung des §218, obgleich wir der Auffassung sind, dass dieser unselige Paragraph durchaus sinnvolle Elemente enthält, etwa die Bestrafung des Schwangerschaftsabbruchs gegen den Willen der Frau (§ 218, Abs. 2)", erklärt gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon. "Eine Kampagne ist aber kein rechtsphilosophisches Oberseminar, entscheidend ist, dass die grundsätzliche Richtung stimmt – und dies ist hier eindeutig der Fall: Denn die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs führt zur verfassungswidrigen Bevormundung von Frauen und ihren Ärzt*innen. Sie ist ein Relikt des obrigkeitsstaatlichen Denkens des vorletzten Jahrhunderts und verstößt aufgrund ihrer auf religiösen Dogmen beruhenden Begründung diametral gegen das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates. Deshalb sollten diese längst überkommenen Bestimmungen so schnell wie möglich aus der deutschen Rechtsordnung verschwinden."
Nachtrag (2.6.2021): Über die Protestaktionen gegen die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs wurde in verschiedenen Nachrichtensendungen und Pressemedien berichtet. Der STERN widmet dem Thema sogar seine aktuelle Titelgeschichte (Ausgabe 23/2021). Das Titelcover "Wir haben abgetrieben!" erinnert dabei an die legendäre Ausgabe vor 50 Jahren. Parallel dazu finden sich im Internetangebot des Magazins viele zusätzliche Informationen unter dem Hashtag #DasGleicheBitte.