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»Die Fundamentalisten werden uns nicht aufhalten!«

Ex-Muslime aus aller Welt demonstrierten in Köln für Salman Rushdie

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Demonstration für Salman Rushdie in Köln (Foto: Eva Witten)

Am vergangenen Wochenende trafen sich in Köln die führenden Vertreterinnen und Vertreter der Bewegung der Ex-Muslime, um das "Recht auf abweichende Meinung" zu feiern ("Celebrating Dissent"). Unterstützt wurden sie dabei von westlichen Religionskritikern wie Richard Dawkins, Dan Barker und Michael Schmidt-Salomon.

"Die meisten von uns wissen, was es bedeutet, an Leib und Leben bedroht zu werden. Doch von der Militanz unserer Gegner lassen wir uns nicht einschüchtern: Die Fundamentalisten werden uns nicht aufhalten!", sagte Maryam Namazie, die Vorsitzende des britischen Zentralrats der Ex-Muslime. In ihrer Eröffnungsrede zitierte sie den chilenischen Dichter Pablo Neruda: "Sie können alle Blumen abschneiden, aber sie können den Frühling nicht verhindern." Es waren die passenden Worte für einen außergewöhnlichen Kongress mit außergewöhnlichen Menschen.

 
Solidarität mit Salman Rushdie

Der islamistisch motivierte Anschlag auf den Schriftsteller und Dissidenten Salman Rushdie ("Die satanischen Verse") am 12. August in New York hat die ex-muslimische Community zwar geschockt, doch ihren Widerstandsgeist keineswegs gebrochen, sondern vielmehr noch gestärkt. Dies zeigte sich am Ende des ersten Kongresstages, als die gesamte Konferenz in einer Spontandemo geschlossen durch die Kölner Innenstadt zog und auf dem Heumarkt lautstark Solidarität mit Salman Rushdie bekundete und die Stärkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, Blasphemie und Apostasie einforderte.

"Mir war schon etwas mulmig dabei, ohne Polizeischutz und mit so vielen hochgefährdeten Personen, die Bilder von Salman Rushdie und Karikaturen von Charlie Hebdo in die Höhe streckten, durch Köln zu marschieren", gestand gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon im Anschluss. "Ich wusste allerdings, dass derartige Sicherheitsbedenken niemanden davon abgehalten hätten, auf die Straße zu gehen. Die spontane Demo für Salman Rushdie am Samstag hat einmal mehr gezeigt, welche Risiken Ex-Muslime in Kauf nehmen, um den Westen vor den Gefahren des Islamismus zu warnen und die offene Gesellschaft gegen ihre Feinde zu verteidigen."

 
"Eine der wichtigsten politischen Bewegungen der Gegenwart" (R. Dawkins)

Auch Richard Dawkins, der ebenfalls an der Demonstration teilnahm, zeigte sich vom Mut der Ex-Muslime beeindruckt. Der britische Evolutionsbiologe und Religionskritiker ("Der Gotteswahn") bezeichnete die Bewegung der Ex-Muslime als "eine der wichtigsten politischen Bewegungen der Gegenwart" und pries sie als eine der "entscheidenden Kräfte zur Verteidigung der Meinungsfreiheit weltweit".

Wie sehr sich die Bewegung der Ex-Muslime in den letzten 15 Jahren entwickelt hat, wurde deutlich, als Mina Ahadi und Michael Schmidt-Salomon auf dem Podium über die Anfänge in den Jahren 2006 und 2007 berichteten. Zur Einstimmung ins Thema zeigten sie die englische Version des Films, den die gbs 2017 zum 10-jährigen Bestehen des weltweit ersten Zentralrats der Ex-Muslime produziert hatte und der am Sonntagmittag von den rund 200 Kongressteilnehmer*innen mit großem Applaus gefeiert wurde.

 
#LetRaifFly

Gefeiert wurde auch Ensaf Haidar, die über ihren Mann, den saudischen Blogger und Menschenrechtsaktivisten Raif Badawi, berichtete. Zwar ist Raif vor einigen Monaten aus dem Gefängnis entlassen worden, doch noch immer darf er nicht aus Saudi-Arabien ausreisen. Der Kongress stellte sich entschieden hinter die Kampagne #LetRaifFly und appellierte an die Regierungen der Welt, Saudi-Arabien zum Einlenken zu bewegen und das gegen Raif verhängte Ausreiseverbot aufzuheben. Nach 10 Jahren ungerechtfertigter Haft müsse es endlich ermöglicht werden, dass Raif wieder ein gemeinsames Leben mit seiner Frau und den drei gemeinsamen Kindern führen kann.

Gegen Ende von "Celebrating Dissent" verabschiedete der Kongress, der vom britischen Zentralrat der Ex-Muslime und der Freidenker-Organisation des Libanon, unterstützt u.a. von der Giordano-Bruno-Stiftung, organisiert wurde, eine "Erklärung zur Feier des Andersdenkens" ("Declaration on the Celebrating of Dissent") sowie drei Resolutionen, von denen sich eine explizit auf die Verhältnisse in Deutschland bezieht. Die Versammlung forderte nämlich die ersatzlose Streichung des "Gotteslästerungsparagrafen" 166 StGB, mit dessen Hilfe unlängst ein Ex-Muslim in Stuttgart gemaßregelt wurde. Wir veröffentlichen nachfolgend den Wortlaut der drei Resolutionen sowie die abschließende "Celebrating Dissent"-Erklärung in deutscher Übersetzung.

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Resolution 1

ZUR VERTEIDIGUNG VON SALMAN RUSHDIE

Celebrating Dissent 2022 verurteilt den gewalttätigen Angriff auf Salman Rushdie und steht in unmissverständlicher Solidarität mit dem mutigen Schriftsteller. Wir freuen uns, dass Rushdie endlich Unterstützung erfährt, statt der üblichen Verunglimpfung und Opferbeschuldigung, die erfolgt, wenn Freidenker von der islamistischen Bewegung ins Visier genommen werden.

Die Motive des Angreifers sind zwar noch nicht bekannt, aber seine Zugehörigkeit zum islamischen Regime im Iran bringt den Anschlag eindeutig mit Khomeinis Fatwa von 1989 gegen Rushdie in Verbindung. Das iranische Regime im Besonderen und die islamistische Bewegung im Allgemeinen haben jahrzehntelang auf jeden Freidenker mit Terror und Gewalt reagiert.

Ganze Generationen von Freidenkern wurden brutal angegriffen, inhaftiert, gefoltert und getötet, weil sie ihrem Gewissen folgten und ihre Meinung äußerten. Leider ist der brutale Angriff auf Rushdie weder der erste noch wird er der letzte sein.

Celebrating Dissent würdigt Rushdie und alle Andersdenkenden, die auf der ganzen Welt gefährdet sind. Wir werden weiterhin das Recht auf Apostasie und Blasphemie feiern, bis niemand mehr wegen seines Denkens und seiner Meinung verfolgt wird.

Und wir werden uns weiterhin erheben.

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Resolution 2

ABSCHAFFUNG VON § 166 STGB

Celebrating Dissent 2022 ist zutiefst besorgt über den Paragraphen 166 im deutschen Strafgesetzbuch, der Religionen und religiöse und ideologische Organisationen vor Kritik oder "Diffamierung" schützt, sofern dies als "Störung des öffentlichen Friedens" angesehen wird. Die Strafen können aus einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestehen.

Da jede Kritik am "Heiligen" und Tabuisierten mit einer Störung des öffentlichen Friedens durch fundamentalistische Gewalt und Drohungen gegen Kritiker beantwortet werden kann, gibt das Gesetzbuch den Zensoren und Unterdrückern Rückendeckung und bringt Andersdenkende zum Schweigen.

Ein Beispiel dafür ist Abbas Mohammadpoor, ein Mitglied des Zentralrats der Ex-Muslime in Deutschland, der aufgrund dieses Gesetzes zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, weil er den Islam und den Propheten Mohammed in Stuttgart kritisiert hatte. Er wird gegen das Urteil vom 4. Juli 2022 Berufung einlegen.

Wir fordern die deutsche Regierung auf, den Paragrafen 166 des Strafgesetzbuches abzuschaffen, alle Verurteilungen und Anklagen im Zusammenhang mit diesem Paragrafen fallen zu lassen und das Recht auf Apostasie, Ketzerei und Gotteslästerung zu respektieren, die integraler Bestandteil der Gewissens- und Meinungsfreiheit sind und durch internationale Menschenrechtsgesetze geschützt werden.

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Resolution 3

INTERNATIONALER TAG DES SÄKULARISMUS

Celebrating Dissent 2022 ruft dazu auf, den Internationalen Tag des Säkularismus am 10. Dezember zeitgleich mit dem Internationalen Tag der Menschenrechte auszurufen.

Säkularismus oder Laizität bedeutet die Trennung von Religion und Staat, Bildung, Recht und öffentlicher Politik. In einer Zeit, in der der Säkularismus von der religiösen Rechten konzertiert angegriffen wird, auch in säkularen Staaten wie Frankreich, Indien, Israel, der Türkei und den USA, um nur einige zu nennen, weisen wir erneut auf die Bedeutung des Säkularismus für Ex-Muslime, Freidenker, Atheisten, Frauen sowie ethnische, sexuelle und religiöse Minderheiten hin.

Säkularismus ist ein Grundprinzip, ein Menschenrecht und eine Mindestvoraussetzung für die Achtung von Rechten und Freiheiten, für eine demokratische Politik und demokratische Gesellschaften.

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ERKLÄRUNG ZUR FEIER DES ANDERSDENKENS
(DECLARATION ON THE CELEBRATION OF DISSENT)

Als Atheisten, Agnostiker, Ex-Muslime und Freidenker stehen wir für eine Welt, in der alle Menschen Meinungs- und Gewissensfreiheit sowie Freiheit von Angst und Not genießen. Wir beanspruchen unsere Freiheit von Religion und Aberglauben. Wir beanspruchen unsere Freiheit zu lieben und zu leben, wie wir wollen, kreativ zu sein und die Vorteile des wissenschaftlichen und menschlichen Fortschritts zu genießen. Wir bekräftigen unser Recht, mit Vernunft und Gewissen zu handeln.

Apostasie und Blasphemie sind Grundrechte, die durch die Religions- und Glaubensfreiheit sowie die Meinungsfreiheit geschützt sind und auf der Universalität der Rechte beruhen, die für alle Menschen überall gelten. Unsere Freiheiten hängen von unseren Rechten auf Atheismus, Apostasie und Gotteslästerung ab; von dem Recht, frei von Religion zu sein und den Islam und jede andere Religion kritisieren zu können.

Wir lehnen das Verbot der Apostasie und Blasphemie sowie religiös begründete Gesetze als schwere Rechtsverletzungen ab und fordern ihre sofortige Abschaffung. Wir lehnen die religiöse Rechte jeglicher Couleur ab. Die Herrschaft der Theokraten ist das Ende und das Gegenteil von demokratischer Politik, von Gedanken- und Meinungsfreiheit und von Grundrechten, insbesondere von Frauen und ethnischen, sexuellen und religiösen Minderheiten.

Wir lehnen Fremdenfeindlichkeit, Bigotterie und Rassismus gegen Ungläubige und Gläubige ab und verurteilen sie. Wir lehnen Phänomene wie die "Cancel Culture", selbstgerechte Intoleranz und eine herablassende Verteidigung "verletzter Gefühle" ab, die darauf abzielen, Gotteslästerer zum Schweigen zu bringen und den rationalen Diskurs zu unterdrücken.

Wir lehnen die Kriminalisierung des Asylrechts ab und fordern das Recht auf Schutz für diejenigen von uns, die vor Verfolgung fliehen. Asyl ist ein in internationalen und nationalen Gesetzen anerkanntes Menschenrecht. Die Regierungen sind verpflichtet diejenigen zu schützen, die vor Verfolgung fliehen.

Wir bekräftigen, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung (solange es nicht zu Gewalt aufruft) eine Grundlage für Menschenrechte und Fortschritt ist. Meinungsfreiheit ist eine Notwendigkeit, insbesondere für diejenigen, die das Mächtige, Heilige und Tabu herausfordern. Wir bekräftigen, dass der Kampf, der heute in der Welt stattfindet, kein Kampf der Kulturen ist, sondern ein Kampf zwischen Theokraten auf der einen Seite und Säkularisten auf der anderen.

Wir wollen in einer Welt leben, in der Gläubige und Nichtgläubige als Menschen respektiert werden, in der aber auch Überzeugungen ohne Angst in Frage gestellt und sogar verspottet werden können. Eine Welt, in der Zweifel und Meinungsverschiedenheiten als integraler Bestandteil der menschlichen Suche nach der Wahrheit angesehen werden und nicht als Äußerungen, die unter dem Vorwand verletzter Gefühle oder der Islamophobie zensiert und zum Schweigen gebracht werden.

Wir wollen in einer Welt leben, in der Säkularismus oder Laizität, die Trennung von Religion und Staat, Recht, Bildung und Politik als ein Grundprinzip und Menschenrecht angesehen wird, das für die Verwirklichung unserer Freiheiten unerlässlich ist. Wir fordern für uns eine Welt, in der niemand wegen seines Gewissens gemieden, verbannt, inhaftiert, gefoltert oder getötet wird. Wir fordern für uns eine Welt, in der Blasphemie, Apostasie und abweichende Meinungen gefeiert werden.

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Links zu dieser Meldung:

"Celebrating Dissent" Köln 2022 – Tag 1: "Du kannst die Blumen stutzen, aber du kannst nie den Frühling aufhalten!" (hpd, 23.8.2022)

"Celebrating Dissent" Köln 2022 – Tag 2: Säkularismus: Eine Freiheitsgarantie für alle (hpd, 24.8.2022)

Größte Versammlung von Ex-Muslimen: Darum haben sie den Islam verlassen (bild.de, 22.8.2022)

Celebrating Dissent 2022: Die Website zur Veranstaltung