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Newsletter vom 28.03.2024


Der Fall Kristina Hänel und seine Folgen

Wie die neue Debatte zum Schwangerschaftsabbruch entstanden ist

»Vielleicht wird man es später einmal als eine ›Ironie des Schicksals‹ begreifen, dass ausgerechnet radikale Abtreibungsgegner den berechtigten Anliegen der Frauenbewegung zum Durchbruch verholfen haben«, schreibt die Ärztin Kristina Hänel im gerade erschienenen 5. Band der »Schriften zum Weltanschauungsrecht«. Tatsächlich haben erst die Strafanzeigen gegen Hänel & Co. die neue Debatte über die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ermöglicht. Der frei im Internet verfügbare Sammelband des »Instituts für Weltanschauungsrecht« (ifw) zeigt auf, wie es dazu gekommen ist.

Der Strafprozess gegen die Gießener Ärztin Kristina Hänel hat Rechtsgeschichte geschrieben: Im Jahr 2017 klagte die Staatsanwaltschaft Gießen die Ärztin wegen eines Verstoßes gegen § 219a StGB an – dem von den Nationalsozialisten eingeführten »Werbeverbot« für Schwangerschaftsabbrüche. Gemeinsam mit dem »Institut für Weltanschauungsrecht« (ifw), das die »Schriften zum Weltanschauungsrecht« im Nomos-Verlag herausgibt, entwickelte Hänel daraufhin die »Strategie der erfolgreichen Niederlage«. Erklärtes Ziel war es demnach nicht, den Fall zu gewinnen, sondern vielmehr, den Paragrafen selbst zu Fall zu bringen.

Der Weg durch die Instanzen der Strafgerichte dauerte mehrere Jahre. Schließlich wurde Kristina Hänel zu einer Geldstrafe verurteilt, wodurch der Weg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet wurde. Doch noch bevor es zu einer Verhandlung in Karlsruhe kommen konnte, wurde das Ziel von Hänels Kampagne auf politischem Weg erreicht: Am 24. Juni 2022 strich der Deutsche Bundestag die Vorschrift des § 219a StGB ersatzlos und hob alle darauf basierenden Verurteilungen der Vergangenheit auf.

Für die Verantwortlichen des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw), das 2017 von der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) gegründet wurde, war von Anfang an klar, dass man den »Ärzteeinschüchterungsparagrafen« 219a StGB nicht losgelöst von der generellen Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs (§§ 218 ff. StGB) betrachten kann. Daher haben Jacqueline Neumann (damalige ifw-Leiterin) und Michael Schmidt-Salomon (ifw-Direktoriumsmitglied) bereits 2018 darauf hingewiesen, dass die Streichung von § 219a »nur ein erster Schritt hin zu einer grundlegenden Reform des Abtreibungsrechts« sein dürfe. In diesem Sinne wandelte sich auch der Protest auf der Straße: Aus der ursprünglichen Forderung nach Abschaffung des § 219a wurde zunehmend eine Forderung nach Abschaffung der §§ 218 ff.

»Ohne Kristina Hänel, ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen gäbe es die aktuelle, so wichtige Debatte zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs nicht«, stellt die stellvertretende ifw-Direktorin Jessica Hamed anlässlich der Veröffentlichung des neuen Sammelbandes fest. Die Ärztin selbst ordnet ihre Rolle in der Debatte sehr bescheiden ein: »Ohne Weiteres hätte die Strafanzeige, welche die aktuelle Debatte über den Schwangerschaftsabbruch ausgelöst hat, auch eine meiner Kolleg*innen treffen können. Ich war bloß zur rechten Zeit am rechten Ort – oder, wie ich anfangs sehr viel eher dachte, zur falschen Zeit am falschen Ort.«

Ihre Freude darüber, dass die »Strategie der erfolgreichen Niederlage« aufgegangen ist, bringt Kristina Hänel am Ende ihres Beitrags allerdings klar zum Ausdruck – und erlaubt sich dabei auch einen kleinen, ironischen Seitenhieb an die Adresse jener selbsternannten »Lebensschützer«, die die Ärztin einst mit Klagen überzogen haben: »Es wäre fantastisch, wenn der lange Kampf der Frauenbewegung für das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung endlich von Erfolg gekrönt sein würde! […] Vielleicht wird man es später einmal als eine ›Ironie des Schicksals« begreifen, dass ausgerechnet radikale Abtreibungsgegner wie Klaus Günter Annen und Yannik Hendricks durch ihre Strafanzeigen den berechtigten Anliegen der Frauenbewegung zum Durchbruch verholfen haben. Es wäre eine eigentümliche ›Dialektik der Aufklärung‹, die selbst die Herren Horkheimer und Adorno in Erstaunen versetzt hätte.«

Lesen Sie hier die vollständige Pressemitteilung zur Veröffentlichung des neuen ifw-Sammelbandes, der alle relevanten Urteile, Anträge und ifw-Stellungnahmen zum Prozess von Kristina Hänel sowie zur anschließenden Debatte über die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs enthält.  Damit die Hintergründe der aktuellen Debatte für alle Interessierten nachvollziehbar sind, hat sich das ifw dazu entschlossen, den aktuellen Band 5 der Schriftenreihe via Open Access kostenfrei im Internet zu veröffentlichen.


»§ 166 schützt Antisemiten – er schützt nicht vor Antisemitismus«

Warum die politischen Argumente gegen die Abschaffung des »Gotteslästerungsparagrafen« falsch sind

Die Mitzeichnungsfrist für die Bundestagspetition zur Streichung des § 166 StGB ist abgelaufen. Nun liegt es in den Händen der Politik, ob dieser Impuls der Zivilgesellschaft aufgegriffen wird oder nicht. Im hpd-Interview sprach der Initiator der Petition, Michael Schmidt-Salomon, über die Mythen, die der Abschaffung des Paragrafen im Weg stehen, sowie über sinnvolle und weniger sinnvolle Wege, den Gefahren des Antisemitismus entgegenzutreten.

In dem Gespräch ging es zunächst um die Frage, warum Bundesjustizminister Marco Buschmann nicht die Forderung nach der Abschaffung des »Gotteslästerungsparagrafen« 166 StGB umsetzt, die er selbst in einem gemeinsamen Aufsatz mit dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner 2015 mit Entschiedenheit vertreten hatte. Hat Buschmann Angst vor negativen Reaktionen seitens der Religionsgemeinschaften? Dies ist wohl nicht der einzige Grund für die Zurückhaltung des Justizministers. Offenkundig herrschen, so Schmidt-Salomon, »im politischen Raum seltsame Mythen vor, die für eine Beibehaltung des Paragrafen sprechen sollen«: »Das wohl wirkmächtigste politische Argument pro § 166 StGB lautet, dass er angeblich ein Bollwerk gegen antisemitische Propaganda darstellt, aber das ist völlig verfehlt. Denn: § 166 schützt Antisemiten – er schützt nicht vor Antisemitismus! Man muss sich nur vergegenwärtigen, dass der jahrhundertealte Judenhass vornehmlich aus religiösen Schriften gespeist wurde.«

Tragischerweise sei es so, »dass Judenhass für Abermillionen Menschen weltweit zu ihrem religiösen Glaubensbekenntnis dazugehört«: »Und hier liegt das Problem: § 166 StGB versucht zu verhindern, dass man diesen religiösen Irrsinn in der notwendigen Schärfe kritisiert. [...] So sind Islamisten in Hamburg dazu übergegangen, ihre Kritiker mithilfe des deutschen Blasphemie-Paragrafen anzuzeigen. Wer für die Beibehaltung von § 166 plädiert, sollte sich daher vor Augen führen, dass er sich damit an die Seite der iranischen Mullahs, der Muslimbrüder und der Hamas stellt.«

Zudem führt Schmidt-Salomon aus, dass derjenige, der die Haltung vertrete, §166 StGB könne ein Bollwerk gegen Antisemitismus sein, »offenbar nur wenig Kenntnis von der Geschichte dieses Zensurparagrafen« habe, »der unverhältnismäßig oft gegen jüdische Intellektuelle eingesetzt wurde«: »Nicht ohne Grund waren es vor allem jüdische Intellektuelle wie Kurt Tucholsky, die sich vehement für die Abschaffung des Straftatbestands der Blasphemie engagierten.« Daran habe sich bis heute wenig verändert, denn noch immer seien säkulare Juden unter Satirikern überdurchschnittlich stark vertreten – Menschen wie der französische Comiczeichner Georges Wolinski, der bei dem Anschlag auf »Charlie Hebdo« am 7. Januar 2015 ums Leben kam und nach deutschem Recht auf Basis des § 166 StGB hätte verurteilt werden müssen, wenn er den Anschlag überlebt hätte.

Dass nach einem Wegfall des Paragrafen mehr Karikaturen erscheinen könnten, welche die jüdische Religion satirisch auf die Schippe nehmen, hält Schmidt-Salomon für unproblematisch: »Denn nicht jede Kritik am jüdischen Fundamentalismus, an der ultraorthodoxen Siedlerbewegung oder an der Politik Netanjahus ist unbegründet und von antisemitischen Vorurteilen geprägt. Auf diesem Gebiet müssten wir sehr viel stärker im Sinne der ›Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus‹ differenzieren.»

Klar sei jedenfalls: »Wer für die Beibehaltung des § 166 StGB plädiert, schützt nicht ›die‹ Juden, sondern setzt sich für eine Strafrechtsnorm ein, die de facto säkulare Juden für weniger schützenswert hält als religiöse Juden. In gewisser Weise positioniert man sich damit gegen die demokratische, anti-fundamentalistische Protestbewegung in Israel und unterstützt stattdessen den religiös-nationalistischen Wahn der ultraorthodoxen Siedler sowie der Regierung Netanjahu.«

Das vollständige Interview mit Michael Schmidt-Salomon finden Sie auf dem Portal des Humanistischen Pressedienstes (hpd)...


»Heidenspaß-Partys« an Karfreitag

Wo man an den »Stillen Tagen« tanzen darf

Alle Jahre wieder erinnern säkulare Gruppen daran, dass das »Tanzverbot« an Karfreitag nicht für diejenigen gilt, die aus weltanschaulichen Gründen gegen die »Stillen Tage« antanzen. Aus diesem Grund finden in dieser Woche zahlreiche »Heidenspaß-Partys« in Deutschland statt sowie Aufführungen des Monty-Python-Films »Das Leben des Brian«, der aufgrund der Feiertagsgesetze nicht öffentlich gezeigt werden darf.

Der weltanschaulich neutrale Staat darf nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2016 organisierten Freigeistern nicht mehr das Recht absprechen, ihre vom Christentum abweichende Bewertung der »Stillen Tage« durch »Heidenspaß-Partys« und »Freigeister-Tanzveranstaltungen« zum Ausdruck zu bringen. Nach dem Urteil aus Karlsruhe organisierte der Bund für Geistesfreiheit (bfg München), der gegen die bayerische Feiertagsgesetzgebung in Karlsruhe geklagt hatte, zusammen mit der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) 2017 eine erste, verfassungsrechtlich abgesicherte »Karfreitagssause« mit Musik, Kabarett und Filmvorführungen in München. Seither hat sich dieses Veranstaltungsformat etabliert. Allein in München werden in diesem Jahr 47 Partys an Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag stattfinden. Ein besonderes Highlight ist dabei die »Clubrevolution – Gegen das Tanzverbot an Feiertagen«, die allein mit 14 Veranstaltungen an Gründonnerstag auftrumpft.

Aber nicht nur in der bayerischen Hauptstadt ist an den »Stillen Tagen« der Bär los: In Regensburg kommt es an Karfreitag gleich an fünf Orten zu Heidenspaß-Partys. In Stuttgart lädt das LKA Longhorn zur Heidenspaß-Party ein, in Heidelberg der Toniq-Club. Die Kölner Innenstadt wird an Karfreitag sogar in einen Dancefloor verwandelt, nämlich im Rahmen einer »Tanzdemo gegen das Tanzverbot«. Und last but not least: Wie schon in den vergangenen Jahren wird die »Initiative Religionsfrei im Revier« auch an diesem Karfreitag den Monty-Python-Film »Das Leben des Brian« in Bochum zeigen (dank einer Ausnahmegenehmigung von der Feiertagsgesetzgebung, für die die Initiative in der Vergangenheit noch vor Gericht streiten musste).

Lesen Sie die komplette Pressemitteilung auf der Website der Giordano-Bruno-Stiftung...


gbs-Sommerforum »Check your Dogma!«

Vom 7. bis 9. Juni bietet das »Haus Weitblick« Raum für spannende Diskussionen in entspannter Atmosphäre

Jede Weltanschauung hat ihr eigenes Narrativ, ein in sich schlüssiges – oder geschlossenes – Weltbild. Deshalb zielen Debatten oft nicht auf gemeinsame Erkenntnisse ab, sondern auf Dominanz über den Gegner. Wie kann man diesem Sog der Polarisierung widerstehen, der dem Ringen um eine bessere Zukunft im Weg steht? Dies wird eine der zentralen Fragen sein, mit dem sich das diesjährige gbs-Sommerforum beschäftigt. Eingeladen sind junge Menschen, die sich noch im Studium oder in einer frühen Phase ihrer Karriere befinden.

Wie in den vorangegangenen Jahren ist das Programm des Sommerforums bewusst offen gehalten und bietet Raum für kreative Ideen. Die Teilnehmer können selbst die Themen einbringen, die sie am meisten interessieren. In kleinen Gruppen werden diese Ansätze diskutiert und konkrete Pläne für die Umsetzung entwickelt, was in der Vergangenheit mitunter zu größeren Kampagnen der Giordano-Bruno-Stiftung geführt hat. Abgerundet wird das Programm durch Vorträge und Kamingespräche von Wissenschaftlern und Philosophen aus dem Stiftungsumfeld, die zum Nachdenken und Diskutieren anregen. So werden in diesem Jahr der Evolutionsbiologe Axel Meyer, der Wissenschaftstheoretiker Nikil Mukerji und der Philosoph (und gbs-Vorsitzende) Michael Schmidt-Salomon zum Stiftungssitz anreisen, um mit den Forumsgästen unter anderem über Fragen der Meinungs- und Forschungsfreiheit zu diskutieren.

Die Teilnahme am Sommerforum ist kostenfrei, eine Bewerbung jedoch zwingend erforderlich. Die Giordano-Bruno-Stiftung übernimmt die Fahrt-, Verpflegungs- und Übernachtungskosten. Für eine lockere, entspannte Atmosphäre am idyllischen Stiftungssitz oberhalb des Rheins ist jedenfalls bestens gesorgt. Nicht ohne Grund gab gbs-Mitgründer Michael Schmidt-Salomon vor Jahren ein an Heinrich Heine angelehntes, hedonistisches Motto aus, das die Veranstaltungen im »Haus Weitblick« prägt: »Wir predigen nicht nur Wein – wir trinken ihn auch!«

Alle erforderlichen Infos zum Sommerforum 2024 »Check your Dogma!« findet man auf der Website https://www.gbs-sommerforum.de/...

Anmerkung 1: Das jährlich stattfindende Sommerforum in Oberwesel ist Teil der Nachwuchsförderung der Stiftung, zu der auch die gbs-Beteiligung am Bertha von Suttner-Studienwerk (BvS) gehört. Zwei Wochen vor dem Sommerforum werden sich die Suttner-Stipendiat*innen im »Haus Weitblick« treffen und dabei u.a. Vorträge von Eckart Voland («Die Evolution des moralischen Gewissens»), Susanne Schröter (»Wissenschaftsfreiheit und woker Moralismus«) und Thomas Metzinger (»Das Problem des Künstlichen Bewusstseins«) erleben. Diese Veranstaltung ist exklusiv den Stipendiatinnen und Stipendiaten des Suttner-Studienwerks vorbehalten, die nicht nur finanziell, sondern auch ideell gefördert werden. Die nächste Ausschreibungsrunde für das Suttner-Stipendium beginnt am 1. Mai 2024.

Anmerkung 2: »Check your Dogma!« lautet auch das Motto des diesjährigen »DA! Art-Award«. Künstlerinnen und Künstler, die in der Bundesrepublik leben und arbeiten, haben noch bis zum 7. Juli 2024 Zeit, sich mit ihren Arbeiten zu bewerben, siehe hierzu die Website des »DA! Art-Award«.


Kurz notiert

Dreiteilige »Terra X«-Doku zur »Macht der Götter«: Warum glauben Menschen? Was unterscheidet und verbindet die großen Religionen? Wie konnten das Christentum und der Islam so erstarken – und wie stehen Religion und weltliche Macht zueinander? Historiker Christopher Clark begibt sich in der dreiteiligen Dokumentation »Terra X: Macht der Götter – Weltgeschichte der Religionen« auf eine Spurensuche rund um den Globus, die von den Glaubensritualen der Steinzeit bis zu den interreligiösen Projekten und Religionskonflikten der Jetztzeit reicht. An der aufwändigen, bildgewaltigen Dokumentation von Gero von Boehm war gbs-Vorstand Michael Schmidt-Salomon als Mitglied des wissenschaftlichen Beraterstabs beteiligt. Zudem kommt er in allen drei Folgen als Gesprächpartner von Christopher Clark zu Wort, insbesondere in der letzten Sendung am Ostermontag. Weitere Protagonist*innen der Filmreihe sind u.a. der Prähistoriker Hermann Parzinger, der Philosoph Hans Joas, der Fundamentalismus-Forscher Gilles Kepel und die Schriftstellerin Thea Dorn. Die dreiteilige Doku wird an Karfreitag, Ostersonntag und Ostermontag im ZDF jeweils um 19:15 Uhr ausgestrahlt. Vorab (und danach) kann sie über die ZDF-Mediathek abgerufen werden. Weitere Infos zur Sendung findet man auf dieser Website.

Neues Buch über Giordano Bruno: Der Historiker Volker Reinhardt, Professor für Geschichte an der Universität Fribourg, hat in seiner jüngst erschienenen Biografie über Giordano Bruno (»Der nach den Sternen griff«, C.H.Beck 2024) wahre Detektivarbeit geleistet, indem er nicht nur neu entdeckte Dokumente zum Inquisitionsverfahren entschlüsselte, sondern auch die komplexen Argumentationsmuster und Anspielungen erhellte, die in Brunos Werken verborgen sind. Herausgekommen ist ein faszinierendes Buch über den »freiesten aller Freidenker«, der als »einziger Intellektueller seiner Zeit von allen etablierten Konfessionen verurteilt wurde«. Grund dafür war, so Reinhard, Brunos unwiderstehlicher Drang, »alle von kirchlichen und weltlichen Machthabern verkündeten Tabus zu brechen, alle künstlich gesetzten Begrenzungen des Räsonierens, Spekulierens und Phantasierens aufzuheben und so eine absolute Freiheit des Wollens, Denkens, Meinens, Glaubens und vor allem Nicht-Glaubens herbeizuführen, die im 21. Jahrhundert durch Inquisitionen eines neuen Typs mindestens so stark gefährdet ist wie zu Brunos Lebzeiten.» Wer sich jemals gefragt hat, warum sich die Giordano-Bruno-Stiftung nach einem vor rund 425 Jahren auf dem Scheiterhaufen verbrannten »Ketzer« benannt hat, findet in Reinhards akribischer Studie eine profunde Antwort. Lesenswert!

Säkulare Impulse in der SPD? Der neue »Frei.Stunde«-Podcast: Der Vorsitzende des »Zentralrats der Konfessionsfreien« Philipp Möller (gbs-Beirat) hat ein spannendes Gespräch mit den beiden Sprecherinnen des »AK Säkularität und Humanismus in der SPD« Carmen Wegge (MdB, Mitglied des Innen- und Rechtsausschusses des Bundestags) und Sabine Smentek (ehemalige Staatssekretärin bei der Berliner Senatsverwaltung) geführt. Zur Sprache kommen u.a. die Abschaffung der Staatsleistungen an die Kirchen, das »Recht auf Letzte Hilfe«, die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs und die Streichung des »Gotteslästerungsparagrafen« 166 StGB. Beide SPD-Politikerin vertreten dabei sehr engagiert säkulare Positionen. Interessant sind ihre politischen Einschätzungen: So zeigt sich Carmen Wegge im Hinblick auf eine baldige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ausgesprochen optimistisch, hält aber die von ihr selbst befürwortete Streichung von § 166 StGB derzeit für unrealistisch, weil nicht wenige Politiker*innen den »Gotteslästerungsparagrafen« fälschlicherweise als Bollwerk gegen Antisemitismus begreifen. (Eine Fehleinschätzung, der Michael Schmidt-Salomon mit seinem hpd-Interview »§ 166 schützt Antisemiten – er schützt nicht vor Antisemitismus« entgegengetreten ist, siehe oben). Insgesamt ein sehr ermutigendes Gespräch, das zeigt, dass sich bei der »alten Tante« SPD in säkularer Hinsicht doch noch etwas bewegen kann! Einer der Kommentatoren auf YouTube schrieb: »Es gibt doch noch vernünftige Leute in der SPD - hoffentlich werden es noch mehr.« Dem kann man nur beipflichten.


Die nächsten Termine

Die Termine der nächsten Wochen, u.a. Helmut Ortners Lesereise zu »Das klerikale Kartell« und Michael Schmidt-Salomons Vorstellung des Buchs »Die Evolution des Denkens«, gibt es, wie immer, im gbs-Terminkalender.

    
Mit freundlichen Grüßen

Das gbs-Newsletter-Team