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Fünf Gründe gegen den Religionsunterricht

Auszug aus einem Streitgespräch der Zeitschrift "Pädagogik"

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Titelbild der Zeitschrift "Pädagogik"

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Pädagogik" findet sich ein ausführliches Streitgespräch zwischen dem katholischen Religionspädagogen Ulrich Riegel und gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon zum Thema "Werte für die Welt von morgen - Brauchen wir dafür Religionsunterricht?". Es ist wohl das erste Mal, dass in Deutschlands führender schulpädagogischer Fachzeitschrift solch scharfe Einwände gegen den konfessionellen Religionsunterricht artikuliert werden.

In dem Streitgespräch, das von dem Siegener Erziehungswissenschaftler Hans Werner Heymann moderiert wird, geht es um die Bedeutung ethischer Werte für das gesellschaftliche Zusammenleben, den Unterschied zwischen Werteerziehung und Wertebildung, das "Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Werte", nicht zuletzt aber auch um die Frage, ob der konfessionelle Religionsunterricht überhaupt in das Curriculum öffentlicher Schulen gehört. In vielerlei Hinsicht stimmen die beiden Diskutanten Riegel und Schmidt-Salomon in ihren Ansichten überein - nicht jedoch in diesem letzten Punkt.

Wir dokumentieren einen Auszug aus dem Gespräch. Michael Schmidt-Salomon benennt hier fünf zentrale Gründe, die seines Erachtens gegen den konfessionellen Religionsunterricht und für ein allgemeinverbindliches Fach "Ethik/Weltanschauungskunde" sprechen.

 

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(...) Ich bin aus verschiedenen Gründen ein Gegner des konfessionellen Religionsunterrichts: Erstens verstärkt er den Trend zur religiösen Gettoisierung der Gesellschaft. Zweitens ist er ein Fremdkörper im schulischen Curriculum, das Erkenntnisse vermitteln soll, die belegt sind – nicht Bekenntnisse, die weitgehend widerlegt sind. Drittens fördert der Religionsunterricht die problematische Neigung zum konventionellen Denken, da er grundsätzlich von einer göttlich vorgegebenen Werteordnung ausgehen muss. Viertens untergräbt die religiöse Rückbindung der Normen eine politische Einsicht, die für plurale Gesellschaften maßgeblich ist: Denn Werte, die für alle gelten sollen, müssen auch für alle einsichtig sein, weshalb sie eben nicht auf religiösen Überzeugungen fußen dürfen, die weite Teile der Bevölkerung nicht akzeptieren. Fünftens – und das ist vielleicht der schwerwiegendste Einwand – läuft der konfessionelle Religionsunterricht auf eine weltanschauliche Manipulation von Kindern und Jugendlichen hinaus.

Dass diese Manipulation so selten erkannt wird, liegt an der leider noch immer verbreiteten Vorstellung, es gäbe tatsächlich »katholische«, »protestantische« oder »muslimische« Kinder. In Wahrheit jedoch gibt es »katholische«, »protestantische« oder »muslimische« Kinder ebenso wenig wie »christdemokratische«, »liberale«, »sozialdemokratische« oder »grüne« Kinder. Was wäre denn davon zu halten, wenn Kindern von CDU-Wählern das CDU-Grundsatzprogramm und Kindern von SPD-Wählern das SPD-Programm in der Grundschule vermittelt würde – so wie Kindern von Katholiken katholischer und Kindern von Protestanten protestantischer Religionsunterricht erteilt wird? Es wäre jedem klar, dass es sich hier um eine unzulässige Indoktrination von Kindern handeln würde. Warum sollte dies im Fall der Religion so gänzlich anders sein?

Meines Erachtens sprechen diese fünf Gründe grundsätzlich gegen den konfessionellen Religionsunterricht – auch wenn ich keineswegs in Abrede stellen möchte, dass viele Religionslehrerinnen und -lehrer trotz der problematischen Vorgaben ihres Fachs einen guten, wertvollen Unterricht anbieten. Doch gerade diese offenen, engagierten Lehrpersonen könnten sich in einem allgemeinverbindlichen Fach, in dem sich die Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer familiären Herkunft mit Fragen der Lebensgestaltung, der Ethik, der Religion und Weltanschauung auseinandersetzen, weit besser entfalten, als dies im traditionellen Religionsunterricht möglich ist. Für sie, ihre Schülerinnen und Schüler, letztlich für die Gesellschaft als Ganzes, wäre es ein beachtlicher Fortschritt, wenn in der Schule allgemeine Wertebildung an die Stelle konfessioneller Werteerziehung treten würde. Dass sich die Religionen aufgrund ihres institutionellen Eigeninteresses gegenüber solchen Innovationen verschließen, mag verständlich sein, dies sollte aber den pädagogischen Diskurs nicht bestimmen. (...)

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Quelle: Pädagogik 7-8/2012, S.64

Infos zum Heft unter:
http://www.beltz.de/de/paedagogik/zeitschriften/paedagogik/archiv/titel/...