gbs-Jahresrückblick 2017
Das „Nackter-Luther-Jahr“ war eines der erfolgreichsten der bisherigen Stiftungsgeschichte
Die Giordano-Bruno-Stiftung ist seit ihrer Gründung im Jahr 2004 kontinuierlich gewachsen. Das Jahr 2017 brachte allerdings einen besonderen Wachstumsschub, was sich u.a. in einem Zuwachs des gbs-Förderkreises um 1.300 Personen auf 8.500 Fördermitglieder ausdrückt. gbs-Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon führt diese Entwicklung vor allem darauf zurück, dass es der Stiftung in diesem Jahr mit Aktionen wie "Die nackte Wahrheit über Martin Luther" und Neugründungen wie dem "Institut für Weltanschauungsrecht" oder der "Säkularen Flüchtlingshilfe" in besonderer Weise gelungen ist, gesellschaftlich relevante Themen zu besetzen.
Der offizielle Tätigkeitsbericht 2017 der Giordano-Bruno-Stiftung wird erst im kommenden Jahr erscheinen, doch bei einem Treffen des Vorstands und der Geschäftsführung in der vergangenen Woche haben die Stiftungsverantwortlichen bereits eine erste Bilanz gezogen. Demnach war das "Nackter-Luther-Jahr" eines der erfolgreichsten der bisherigen Stiftungsgeschichte. Der nachfolgende Rückblick auf die wichtigsten Ereignisse dieses Jahres verrät einiges darüber, warum die Stiftung eine immer größere Rolle in der gesellschaftlichen Debatte spielt.
Ein Geschenk für Erdogan, Neutralität im Rechtssystem, Heidenspaß an Karfreitag
Die Giordano-Bruno-Stiftung startete ins Jahr 2017 mit einem "Geschenk für Erdogan", nämlich der türkischen Fassung des Evokids-Films "Big Family – Die phantastische Reise in die Vergangenheit", der Kindern (und Erwachsenen) die große Geschichte der Evolution auf unterhaltsame Weise näherbringt. Anlass des "Geschenks" war die Befürchtung (die sich wenig später bestätigte), dass der türkische Präsident die Evolutionstheorie aus den schulischen Lehrplänen streichen würde. In Deutschland sieht die Lage deutlich besser aus, denn allmählich zeichnet sich ab, dass die Forderung der Evokids-Gruppe nach einer stärkeren Berücksichtigung der Evolutionstheorie im Unterricht ernster genommen wird. So veröffentlichte die Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften) in diesem Jahr eine umfassende Stellungnahme zur "Evolutionsbiologischen Bildung in Schule und Hochschule". Zudem wurde das von der gbs und dem Institut für Biologiedidaktik Gießen getragene Evokids-Projekt 2017 in das Angebot der Landesmedienzentrale Baden-Württemberg sowie in das Scientixx-Programm der Europäischen Kommission aufgenommen, das vorbildliche Lehrmaterialien in die Sprachen der EU übersetzt.
Im Februar trafen sich am gbs-Stiftungssitz in Oberwesel renommierte Juristen, um das "Institut für Weltanschauungsrecht" (ifw) zu gründen, das sich für eine Stärkung des Gebots der "weltanschaulichen Neutralität" in Gesetzgebung und Rechtsprechung engagiert. Nach gründlicher Vorbereitung ging das ifw Anfang September 2017 mit seiner Website www.weltanschauungsrecht.de an die Öffentlichkeit. Unter Leitung der Juristin Jacqueline Neumann sorgt das Institut seither durch rechtsphilosophische Kommentare, juristische Gutachten sowie durch die Begleitung und Finanzierung von Musterprozessen für eine stärkere Berücksichtigung säkularer Positionen und evidenzbasierter Argumentationen in Politik und Justiz.
Einige der ifw-Experten waren zuvor auch an dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligt, das 2016 zur (partiellen) Aufhebung des Tanzverbots an Karfreitag geführt hat. Um das Urteil des BVerfG zu bekräftigten, veranstaltete der bfg München zusammen mit der Giordano-Bruno-Stiftung an Karfreitag 2017 (14. April) eine "Heidenspaß-Party" in München, bei der Michael Schmidt-Salomon das "Wort zum Karfreitag" sprach und dem Publikum den "humanistischen Tanzsegen" erteilte. Mit dem Film "Tanz den Karfreitag!" hat Ricarda Hinz diese ungewöhnliche Veranstaltung dokumentiert.
Wissenschaftler auf der Straße, Menschenrechte in Nordkorea
Eine Woche später, ebenfalls im April, fand in 22 deutschen Städten der "March for Science" statt, bei dem 37.000 Teilnehmer (darunter viele gbs-Fördermitglieder) für eine stärkere Beachtung wissenschaftlicher Argumente in Politik und Gesellschaft demonstrierten. Der Marsch für die Wissenschaft wurde von der gbs nicht nur ideell, sondern auch finanziell unterstützt, indem sie das Kostenrisiko für die lokalen Veranstalter der Märsche übernahm. Diese Unterstützung wurde zwar von vielen geschätzt, führte mitunter aber auch zu scharfer Kritik, auf die Michael Schmidt-Salomon in einem ausführlichen Interview mit dem Humanistischen Pressedienst ("Auf hohlen Köpfen ist gut trommeln!") eingegangen ist.
Zeitgleich mit dem Science March fand in Berlin die "Nordkorea-Konferenz" statt, die nicht nur über die Menschenrechtslage in der sogenannten "Volksrepublik Korea" aufklärte, sondern auch verdeutlichte, dass der Kimismus kein Kommunismus ist und es daher falsch (und nebenbei auch im Hinblick auf China strategisch unklug) ist, Nordkorea als einen "sozialistischen Staat" zu bezeichnen. Tatsächlich entspricht die sogenannte "Tuche"-Ideologie des Kim-Regimes in weiten Teilen der "Duce"-Ideologie Mussolinis. Zusammen mit Saram e.V. (Deutschland) und ICNK (Südkorea) führte die gbs im Laufe des Jahres weitere Veranstaltungen zu Nordkorea durch, die aufgrund der zunehmenden Spannungen zwischen Nordkorea und den USA besondere Aufmerksamkeit erzielten.
Knabenbeschneidung und nackter Luther
Am 7. Mai 2017 jährte sich das berühmte "Kölner Urteil", das 2012 zu einer kontroversen Debatte über Knabenbeschneidung geführt hatte, zum fünften Mal. Anlässlich dieses Jubiläums beteiligte sich die gbs an der Kölner Demonstration gegen Genitalverstümmelung, bei der neben deutschen, israelischen, amerikanischen und afrikanischen Aktivisten auch Mina Ahadi und Michael Schmidt-Salomon sprachen. Zeitgleich veröffentlichte die Stiftung auf ihrer Website ein gemeinsames Papier von Dr. iur. Ralf Eschelbach (Richter am Bundesgerichtshof), Prof. Dr. med. Matthias Franz (Universitätsklinikum Düsseldorf) und Prof. Dr. iur. Jörg Scheinfeld (Universitäten Mainz und Wiesbaden), das sich entschieden gegen die Missachtung des genitalen Selbstbestimmungsrechts ausspricht.
Ansonsten stand der Mai 2017 ganz im Zeichen des sogenannten "Luther-Jahrs": Mit der Broschüre "Martin Luther: Volksheld – Antisemit – Hassprediger", der Ausstellung "Von Golgatha nach Auschwitz" und der Kunstaktion "Die nackte Wahrheit über Martin Luther" konnte die gbs ein Gegengewicht zu der oftmals unkritischen Luther-Berichterstattung herstellen. Die gbs-Broschüre zu Martin Luther musste wegen der großen Nachfrage bereits nachgedruckt wurden – auch, weil sie von evangelischen Religionslehrern angefordert wurde, die mit der Luther-Verherrlichung ihrer Kirche nicht einverstanden waren. Der "nackte Luther", der mit dem Team von David Farago von Kirchentag zu Kirchentag und von Luther-Event zu Luther-Event zog, sorgte vielerorts für heiter-kritische Aufmerksamkeit – vor allem nachdem der "nackte Luther" von der Polizei (fälschlicherweise) als "antisemitisch" aus dem Verkehr gezogen wurde (schnell erkannten allerdings auch die staatlichen Behörden, dass die Skulptur natürlich gegen Luthers Judenhass gerichtet ist). Selbst bei Kirchentagsbesuchern sorgte die Kunstaktion oft für Zustimmung, was sich auch darin äußerte, dass unzählige Selfies und Fotos mit dem "nackten Luther" geschossen wurden.
Der (Un-)Glaube, die AfD und die schwindende Bedeutung der Säuglingstaufe
Im Sommer 2017 kamen viele gbs-Mitglieder bei der ARD-Themenwoche "Glauben" sowie der hpd-Themenwoche "Nicht-Glauben" zu Wort, das große Treffen mit den Vertretern der gbs-Regional- und Hochschulgruppen fand am Stiftungssitz statt, Michael Schmidt-Salomon kritisierte die "Harari-Ver(w)irrung" (der Bestsellerautor hatte die Nazis allen Ernstes als "Humanisten" beschrieben) und gbs-Beirat Wolfram Kastner eröffnete seine Ausstellung "wegen HEXEREY gefangen - gefoltert – verbrannt" in der ehemaligen Johanniskirche Eichstätt.
Im September fanden am Stiftungssitz die jährlichen Treffen mit den Mitgliedern des Stifterkreises und des Beirats statt, zudem veröffentlichte die gbs einen Kommentar zum Wahlerfolg der AfD, der verdeutlichte, dass man der "Internationale der Nationalisten" nicht die Debatte über den politischen Islam überlassen darf. Zudem zeigte sich im September erstmals, wie schlagkräftig die von der gbs (mit)gegründeten Organisationen Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid), Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) und Humanistischer Pressedienst (hpd) zusammenarbeiten können. So belegte fowid-Leiter Carsten Frerk am 26. September anhand von empirischen Daten, dass nur noch ein Teil der Getauften (im Erzbistum Köln etwa die Hälfte) sich später im religionsmündigen Alter firmen lässt, was bedeutet, dass der religiöse Initiationsakt von vielen nominellen Christen nicht mehr vollendet wird. Am folgenden Tag veröffentlichte ifw-Koordinatorin Jacqueline Neumann den Kommentar "Staatliches Kirchensteuerrecht an die Rechtswirklichkeit anpassen", der die rechtlichen Auswirkungen dieser empirischen Daten beleuchtet. Noch am selben Tag machte der hpd den juristisch abstrakten ifw-Kommentar unter dem griffigen Titel "Taufe im Kleinkindalter darf keine Kirchensteuerpflicht begründen" einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich.
Die Reformation des Denkens, der Erfolg der Ex-Muslime und die Gründung der Säkularen Flüchtlingshilfe
Im Oktober beteiligte sich die gbs am großen Cradle to Cradle-Kongress in Lüneburg, an dem über 800 Personen über einen neuen, zukunftsfähigen Stoffwechsel mit der Natur nachdachten, sowie an der Tagung "Ethik und KI", die die Integrata-Stiftung in Zusammenarbeit mit der gbs und dem Weltethos-Institut in Tübingen ausrichtete. Zudem lief das "Luther-Jahr" auf seinen eigentlichen Höhepunkt zu, nämlich den "Reformationstag". Die Stiftung reagierte darauf, indem sie den "nackten Luther" wieder verstärkt auf Reisen schickte und indem sie eine Veranstaltung am Stiftungssitz organisierte, die deutlich machte, dass der eigentliche Anlass für eine tiefgreifende Reformation des Denkens exakt 100 Jahre vor Luthers Thesen stattgefunden hatte, nämlich infolge der Wiederentdeckung des epikureischen Lehrgedichts "Über die Natur der Dinge" im Jahr 1417. Darüber hinaus unterstützte die gbs das "Denkfest" in Zürich, das unter dem Motto "Reformationen des Denkens" stand und bei dem mit Philipp Blom, Natalie Grams, Michael Schmidt-Salomon und Reinhold Schlotz gleich vier Mitglieder der Stiftung als Vortragende mitwirkten.
Im November 2017 richtete die gbs anlässlich des 10-jährigen Bestehens der "Ex-Muslime" einen internationalen Festakt in Köln aus, bei dem u.a. der von einer Todesfatwa bedrohte iranische Musiker Shahin Najafi auftrat und ein eindrucksvoller Film von Ricarda Hinz gezeigt wurde, der den außergewöhnlichen Mut verdeutlicht, den Ex-Muslime wie Mina Ahadi oder Maryam Namazie Tag für Tag in ihrem Widerstand gegen den politischen Islam beweisen. Zudem wurde auf dem Festakt erstmals der neue Verein "Säkulare Flüchtlingshilfe" vorgestellt, dessen Ziel darin besteht, religionsfreie Flüchtlinge durch praktische Hilfsangebote zu unterstützen und ihre Lebenssituation durch politische Arbeit zu verbessern.
Die Vielfalt der Stiftungsaktivitäten ist kaum mehr zu überschauen
Die obige Auflistung von Aktionen und Veranstaltungen gibt nur einen kleinen Einblick in einige Highlights des Jahres 2017. Völlig ignoriert wurden dabei etwa die vielfältigen Aktivitäten des Great Ape Projekts, der humanistischen Salons in Nürnberg und Düsseldorf, die Eröffnung der "Schule des Ungehorsams" in Linz (Initiator: gbs-Beirat Gerhard Haderer) und vieles andere mehr. Tatsächlich war und ist die Vielfalt der Stiftungsaktivitäten kaum mehr zu überschauen. Im gbs-Netzwerk haben im Laufe des Jahres unzählige Veranstaltungen, Aktionen, Treffen stattgefunden, was nicht zuletzt dem großen Engagement der rund 50 Regional- und Hochschulgruppen der Stiftung zu verdanken ist.
"Wenn ich daran denke, wie bescheiden wir 2004 angefangen haben, ist die Entwicklung der Stiftung atemberaubend!", meint dazu Stiftungssprecher Michael Schmidt-Salomon. "Am Anfang haben Herbert Steffen und ich mit Unterstützung einiger weniger Beiräte die Stiftungsarbeit ganz alleine erledigt. Unser Jahresbudget lag damals bei unter 30.000 Euro – wir waren also keineswegs so vermögend, wie viele annehmen. Inzwischen aber haben wir 8.500 Förderkreismitglieder, rund 200 Aktive, 50 Regionalgruppen und ein jährliches Budget von ca. 500.000 Euro, das allein durch die Spenden und Zustiftungen unserer Förderer getragen wird. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, so viele Menschen von unserer Arbeit zu überzeugen. Denn ohne die vielen Helfer, Mitarbeiter, Spender und Zustifter wären wir gar nicht in der Lage, die wachsenden Aufgaben der Stiftung zu erfüllen. Deshalb möchte ich mich bei allen bedanken, die uns in diesem und in den vergangenen Jahren so großartig unterstützt haben – und hoffe natürlich darauf, dass wir auf diese Hilfe auch in den kommenden Jahren zählen dürfen!"
/sites/gbs/files/download/gbs_taetigkeitsbericht2016.pdf
Empfehlenswert ist auch ein Blick in die Stiftungs-Chronologie, die einen Überblick über die Aktivitäten der Stiftung seit ihrer Gründung im Jahr 2004 gibt:
/aktivitaeten/chronologie-wichtigsten-ereignisse